Die Blechtrommel
eines Engels war, zu Gewalttätigkeiten; dennoch konnte ich mich immer beherrschen und lud sie, wenn ich Gelüst nach einer Peitsche verspürte, in eine Konditorei ein, führte sie, leicht snobistisch, wie mich der Umgang mit Künstlern stimmte, als eine seltene hochgewachsene Pflanze neben meinen Proportionen auf der belebten und gaffenden Königsallee spazieren, kaufte ihr lila Strümpfe und rosa Handschuhe.
Anders verhielt es sich mit dem Maler Raskolnikoff, der mit Ulla, ohne ihr nahe zu treten, intimsten Umgang pflegte. So ließ er sie auf der Drehscheibe mit weitgeöffneten Beinen posieren, malte jedoch nicht, sondern nahm einige Schrittchen entfernt auf einem Schemel ihrer Scham gegenüber Platz, starrte, von Schuld und Sühne eindringlich flüsternd, in diese Richtung, bis die Scham der Muse feucht wurde, sich öffnete und auch Raskolnikoff durch bloßes Reden und Hinsehen zum befreienden Ergebnis kam, aufsprang vom Schemel und der Madonna 49 auf der Staffelei mit grandiosen Pinselhieben zusetzte.
Auch mich starrte Raskolnikoff manchmal, wenn auch aus anderen Gründen an. Er meinte, es fehle etwas an mir. Von einem Vakuum zwischen meinen Händen sprach er und drückte mir nacheinander Gegenstände zwischen die Finger, die ihm bei seiner surrealistischen Phantasie überreichlich in den Sinn kamen. So bewaffnete er Oskar mit einer Pistole, ließ mich als Jesus auf die Madonna zielen.
Eine Sanduhr, einen Spiegel mußte ich ihr hinhalten, der sie greulich verzerrte, weil er konvex war.
Scheren, Fischgräten, Telefonhörer, Totenköpfe, kleine Flugzeuge, Panzerwagen, Ozeandampfer hielt ich mit beiden Händen und füllte — Raskolnikoff merkte es schnell — das Vakuum dennoch nicht aus.
Oskar fürchtete sich vor dem Tag, da der Maler jenen Gegenstand bringen würde, welcher allein bestimmt war, von mir gehalten zu werden. Als er dann schließlich die Trommel brachte; schrie ich:
»Nein!«
Raskolnikoff: »Nimm die Trommel, Oskar, ich hab dich erkannt!«
Ich zitternd: »Nie wieder. Das ist vorbei!«
Er, düster: »Nichts ist vorbei, alles kommt wieder, Schuld, Sühne, abermals Schuld!«
Ich, mit letzter Kraft: »Oskar hat gebüßt, erlaßt ihm die Trommel, alles will ich halten, nur das Blech nicht!«
Ich weinte, als sich die Muse Ulla über mich beugte, und konnte, tränenblind wie ich war, nicht verhindern, daß sie mich küßte, daß mich die Muse schrecklich küßte — ihr alle, die ihr jemals einen Musenkuß empfinget, könnt sicher verstehen, daß Oskar sogleich nach dem stempelnden Kuß die Trommel, jenes Blech wieder an sich nahm, das er vor Jahren von sich gewiesen, im Sand des Friedhofes Saspe vergraben hatte.
Aber ich trommelte nicht. Ich posierte nur und wurde — schlimm genug — als trommelnder Jesus der Madonna 49 auf den linken nackten Oberschenkel gemalt.
So sah mich Maria auf dem Kunstplakat, das eine Kunstausstellung ankündigte. Sie besuchte ohne mein Wissen die Ausstellung, muß wohl lange und zornansammelnd vor dem Bild gestanden haben; denn als sie mich zur Rede stellte, schlug sie mich mit dem Schullineal meines Sohnes Kurt. Sie, die seit einigen Monaten eine gutbezahlte Arbeit in einem größeren Feinkostgeschäft zuerst als Verkäuferin, recht bald, bei ihrer Tüchtigkeit, als Kassiererin gefunden hatte, begegnete mir als nunmehr im Westen guteingebürgerte Person, war kein Schwarzhandel treibender Ostflüchtling mehr und konnte mich deshalb mit ziemlicher Überzeugungskraft ein Ferkel, einen Hurenbock, ein verkommenes Subjekt nennen, schrie auch, sie wolle das Saugeld, das ich mit der Schweinerei verdiene, nicht mehr sehen, auch mich wolle sie nicht mehr sehen.
Wenn Maria auch diesen letzten Satz bald zurücknahm und vierzehn Tage später einen nicht geringen Teil meines Modellgeldes wieder zum Wirtschaftsgeld zählte, entschloß ich mich dennoch, die Wohngemeinschaft mit ihr, mit ihrer Schwester Guste und meinem Sohn Kurt aufzugeben, wollte eigentlich weit fort, nach Hamburg, wenn möglich wieder ans Meer, doch Maria, die sich recht schnell mit meinem geplanten Umzug abfand, überredete mich, von ihrer Schwester Guste unterstützt, ein Zimmer in ihrer und Kurtchens Nähe, auf jeden Fall in Düsseldorf zu suchen.
DER IGEL
Aufgebaut, abgeholzt, ausgemerzt, einbezogen, fortgeblasen, nachempfunden: erst als Untermieter lernte Oskar die Kunst des Zurücktrommelns. Nicht nur das Zimmer, der Igel, das Sargmagazin auf dem Hof und der Herr Münzer halfen mir dabei; Schwester
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