Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
die Einladung sogleich wieder ein.
    Wir fuhren sofort, ließen den Karneval hinter uns, ich bezahlte das Taxi, und Lankes, der sein Atelier in der Sittarder Straße hatte, machte uns überm Spiritus einen Kaffee, der die Muse wieder belebte. Sie wirkte, nachdem sie sich mit Hilfe meines rechten Zeigefingers übergeben hatte, beinahe nüchtern.
    Jetzt erst sah ich, daß sie sich aus hellblauen Augen ständig verwunderte, hörte auch ihre Stimme, die ein wenig piepsig, blechern, doch nicht ohne rührenden Liebreiz war. Als ihr der Maler Lankes meinen Vorschlag unterbreitete, ihr das Modellstehen in der Kunstakademie mehr befahl denn vorschlug, weigerte sie sich zuerst, wollte weder Muse noch Modell in der Kunstakademie werden, wollte nur dem Maler Lankes gehören. Doch jener gab ihr trocken und wortlos, wie es begabte Maler gerne tun, mit großer Hand einige Ohrfeigen, fragte sie nochmals und lachte zufrieden, schon wieder gutmütig, als sie sich schluchzend, genau wie ein Engel weinend, bereit erklärte, für die Maler der Kunstakademie zum gutbezahlten Modell und womöglich zur Muse zu werden.
    Man muß sich vorstellen, daß Ulla etwa einen Meter achtundsiebenzig mißt, überschlank, lieblich und zerbrechlich ist und an Botticelli und Cranach gleichzeitig erinnert. Wir standen Doppelakt.
    Langustenfleisch hat etwa die Farbe ihres langen und glatten Fleisches, den zarter kindlicher Flaum bedeckt. Ihr Haupthaar eher dünn, aber lang und strohblond. Die Schamhaare kraus rötlich, nur ein kleines Dreieck bewachsend. Unter den Armen rasiert Ulla sich wöchentlich.
    Wie zu erwarten war, konnten die üblichen Kunstschüler nicht viel mit uns anfangen, machten ihr zu lange Arme, mir einen zu großen Kopf, verfielen also den Fehlern aller Anfänger: sie bekamen uns nicht ins Format.
    Erst als uns Ziege und Raskolnikoff entdeckten, entstanden Bilder, die der Muse und Oskars Erscheinung gerecht wurden.
    Sie schlafend, ich sie erschreckend: Faun und Nymphe.
    Ich hockend, sie mit kleinen, immer ein wenig frierenden Brüsten über mich gebeugt, mein Haar streichelnd: Die Schöne und das Untier.
    Sie liegend, ich zwischen ihren langen Beinen mit einer gehörnten Pferdemaske spielend: Die Dame und das Einhorn.
    Das alles in Zieges oder Raskolnikoffs Stil, mal farbig, dann wieder in vornehmen Grautönen, mal mit feinem Pinsel detailliert, dann wieder in Zieges Manier mit genialem Spachtel hingeschmettert, mal das Geheimnisvolle um Ulla und Oskar nur angedeutet, und dann war es Raskolnikoff, der mit unserer Hilfe zum Surrealismus fand: da wurde Oskars Gesicht zu einem honiggelben Zifferblatt, wie es einst unsere Standuhr zeigte, da blühten in meinem Buckel mechanisch rankende Rosen, die Ulla zu pflücken hatte, da saß ich der oben lächelnden, unten langbeinigen Ulla im aufgeschnittenen Leib und hatte, zwischen ihrer Milz und Leber hockend, in einem Bilderbuch zu blättern. Auch steckte man uns gerne in Kostüme, machte aus Ulla die Kolumbine, aus mir einen weißgeschminkten traurigen Mimen.
    Schließlich blieb es Raskolnikoff vorbehalten — man nannte ihn so, weil er ständig von Schuld und Sühne sprach — das ganz große Bild zu malen: Ich saß auf Ullas leichtbeflaumtem linkem Oberschenkel — nackt, ein verwachsenes Kindlein — sie gab die Madonna ab; Oskar hielt still für Jesus.
    Dieses Bild wanderte später durch viele Ausstellungen, hieß dort: Madonna 49 — bewies auch als Plakat seine Wirkung, kam so meiner gutbürgerlichen Maria zu Augen, bewirkte häuslichen Krach und wurde dennoch für rundes Geld von einem rheinischen Industriellen gekauft — hängt wohl heute noch im Sitzungssaal eines Bürohochhauses und beeinflußt Vorstandsmitglieder.
    Mich unterhielt jener begabte Unfug, den man mit meinem Buckel und meinen Proportionen anstellte.
    Dazu kam, daß man Ulla und mir, begehrt wie wir waren, pro Stunde Doppelakt zwei Mark und fünfzig bezahlte. Auch Ulla fühlte sich als Modell wohl. Der Maler Lankes mit der großen schlagkräftigen Hand behandelte sie besser, seitdem sie regelmäßig Geld nach Hause brachte, und schlug sie nur noch, wenn seine genialen Abstraktionen von ihm eine zornige Hand verlangten. So war sie auch diesem Maler, der sie rein optisch nie als Modell benutzte, im gewissen Sinne eine Muse; denn nur jene Ohrfeigen, die er ihr austeilte, verliehen seiner Malerhand die wahre schöpferische Potenz.
    Zwar reizte Ulla auch mich durch ihre weinerliche Zerbrechlichkeit, die im Grunde die Zähigkeit

Weitere Kostenlose Bücher