Die Blechtrommel
sich zur Pflicht gemacht, weiterhin den Haushalt in Bilk, Maria, den Jungen und Guste Köster bescheiden, aber dennoch zu unterstützen.
Von den vier Adressen, die mir die freundlichen Leutchen in der Studentenvertretung der Akademie überlassen hatten, gab ich der Adresse: Zeidler, Jülicher Straße 7, den Vorrang, weil ich es von dort nah zur Kunstakademie hatte.
Anfang Mai, es war heiß, dunstig und niederrheinisch, machte ich mich mit genügend Bargeld versehen auf den Weg. Maria hatte mir meinen Anzug gerichtet, ich sah manierlich aus. Jenes Haus, in dessen dritter Etage Zeidler eine Dreizimmerwohnung bewohnte, stand in bröckelndem Putz hinter einer staubigen Kastanie. Da die Jülicher Straße zur guten Hälfte aus Trümmern bestand, konnte man schlecht von Nachbarhäusern und dem Haus gegenüber sprechen. Links ließ ein mit verrosteten T-Trägern durchwachsener, Grünzeug und Butterblumen treibender Berg die einstige Existenz eines vierstöckigen Gebäudes vermuten, das sich dem Zeidlerschen Haus angelehnt hatte. Rechts war es gelungen, ein teilzerstörtes Grundstück bis zum zweiten Stockwerk wieder instandzusetzen. Doch mochten die Mittel nicht ganz gereicht haben. Es galt noch die lückenhafte, vielfach gesprungene Fassade aus poliertem schwarzschwedischem Granit auszubessern. Der Inschrift »Begräbnisinstitut Schornemann« fehlten mehrere, ich weiß nicht mehr welche, Buchstaben. Glücklicherweise waren die beiden, keilförmig vertieften, den immer noch spiegelglatten Granit zeichnenden Palmenzweige unbeschädigt geblieben, konnten also mithelfen, dem lädierten Geschäft eine halbwegs pietätvolle Ansicht zu geben.
Das Sargmagazin dieses schon seit fünfundsiebenzig Jahren bestehenden Unternehmens befand sich auf dem Hof und sollte mir von meinem Zimmer, das nach hinten sah, oft genug betrachtenswert sein.
Den Arbeitern sah ich zu, die bei gutem Wetter einige Särge aus dem Schuppen rollten, auf Holzböcke stellten, um die Politur dieser Gehäuse, die sich alle auf mir wohlvertraute Art zum Fußende hin verjüngten, mit allerlei Mittelchen aufzufrischen.
Zeidler selbst machte auf, nachdem ich geklingelt hatte. Er stand klein, untersetzt, kurzatmig, iglig in der Tür, trug eine dickglasige Brille, verbarg die untere Gesichtshälfte hinter flockigem Seifenschaum, hielt sich rechts den Pinsel gegen die Wange, schien ein Alkoholiker und, der Sprache nach, ein Westfale zu sein.
»Wenn Ihnen das Zimmer nich gefällt, sagen Sie es gleich. Ich bin beim Rasieren und muß mir noch die Füße waschen.«
Zeidler liebte keine Umstände. Ich sah mir das Zimmer an. Es konnte mir nicht gefallen, weil es ein außer Betrieb gesetztes, zur guten Hälfte türkisgrün gekacheltes, ansonsten unruhig tapeziertes Badezimmer war. Dennoch sagte ich nicht, das Zimmer könne mir nicht gefallen. Ohne Rücksicht auf Zeidlers trocknenden Seifenschaum, auf seine ungewaschenen Füße, beklopfte ich die Badewanne, wollte wissen, ob es nicht ohne Wanne gehe; die habe doch ohnehin kein Abflußrohr.
Lächelnd schüttelte Zeidler seinen grauen Igelkopf, versuchte vergeblich mit dem Rasierpinsel Schaum zu schlagen. Das war seine Antwort, und so erklärte ich mich bereit, das Zimmer mit Badewanne für monatlich vierzig Mark zu mieten.
Als wir wieder auf dem spärlich beleuchteten, schlauchartigen Korridor standen, an den mehrere Räume mit verschieden gestrichenen, teilweise verglasten Türen stießen, wollte ich wissen, wer sonst noch in Zeidlers Wohnung wohne. »Meine Frau und Untermieter.«
Ich tippte gegen eine Milchglastür in der Mitte des Korridors, die man von der Wohnungstür aus mit einem Schritt erreichen konnte.
»Da wohnt die Krankenschwester. Aber das geht Sie nichts an. Die werden Sie sowieso nicht zu sehen bekommen. Die schläft nur hier, und das auch nicht immer.«
Ich will nicht sagen, daß Oskar unter dem Wörtchen »Krankenschwester« zuckte. Mit dem Kopf nickte er, wagte keine Auskunft über die restlichen Zimmer zu verlangen, wußte über sein Zimmer mit Badewanne Bescheid; das lag zur rechten Hand, schloß mit der Breite der Tür den Korridor ab.
Zeidler tippte mir gegen den Rockaufschlag: »Kochen können Sie bei sich, wenn Sie einen Spirituskocher haben. Von mir aus auch manchmal in der Küche, falls der Herd nicht zu hoch für Sie ist.« Das war seine erste Bemerkung über Oskars Körpergröße. Das Empfehlungsschreiben der Kunstakademie, das er rasch überflogen hatte, tat seine Wirkung, weil es vom
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