Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
britischen Empire zu. Als ich ihn nach dem Schicksal der ehemals freien Stadt Danzig fragte, wußte er leider nicht, wo das lag, schlug aber unbekümmert einen Grafen aus dem Bergischen, der, wie er sagte, von Jan Weilern in ziemlich direkter Linie abstamme, als Fürst für das ihm leider unbekannte Städtchen vor. Schließlich — wir bemühten uns gerade, den Begriff Wahrheit zu definieren, machten auch dabei Fortschritte — da brachte ich durch einige geschickte Zwischenfragen in Erfahrung, daß der Herr Klepp schon seit drei Jahren dem Zeidler als Untermieter den Zins zahlte. Wir bedauerten, daß wir uns nicht schon früher kennenlernen durften. Ich gab dem Igel die Schuld, der mir nicht genug Angaben über den Betthüter gemacht hatte — wie es ihm ja auch nicht eingefallen war, mir mehr über die Krankenschwester anzuvertrauen als jenen dürftigen Hinweis: es wohnt hier eine Krankenschwester hinter der Milchglastür.
    Oskar wollte den Herrn Münzer oder Klepp nicht sogleich mit seinen Sorgen belasten. Ich erbat also keine Auskunft über die Krankenschwester, sondern besorgte mich vorerst um ihn: »Apropos Gesundheit«, warf ich ein, »geht es Ihnen nicht gut?«
    Klepp hob abermals seinen Oberkörper um einige Grad, ließ sich, als er einsehen mußte, daß es ihm nicht gelingen konnte, einen rechten Winkel zu bilden, wieder zurückfallen und unterrichtete mich dahin, daß er eigentlich im Bett liege, um herauszufinden, ob es ihm gut, mäßig oder schlecht gehe. Er hoffe in einigen Wochen erkannt zu haben, daß es ihm mäßig gehe.Dann ereignete sich, was ich befürchtet hatte und durch ein längeres und verzweigtes Gespräch verhindern zu können glaubte.
    »Ach, lieber Herr, essen Sie bitte mit mir eine Portion Spaghetti.« So aßen wir in dem von mir mitgebrachten frischen Wasser abgekochte Spaghetti. Ich wagte nicht, mir den klebrigen Topf auszu-bitten, um ihn im Spülstein einer gründlichen Reinigung zu unterwerfen. Klepp kochte, nachdem er sich auf die Seite gedreht hatte, das Gericht wortlos mit schlafwandlerisch sicheren Bewegungen. Das Wasser goß er vorsichtig in eine größere Konservendose ab, langte dann, ohne die Haltung seines Oberkörpers bemerkenswert zu verändern, unter das Bett, zog einen öligen, mit Tomatenmarkresten überkrusteten Teller hervor, schien einen Augenblick lang unschlüssig, fischte abermals unter dem Bett, brachte zerknülltes Zeitungspapier ans Tageslicht, wischte damit in dem Teller herum, ließ das Papier wieder unter dem Bett verschwinden, hauchte die verschmierte Platte an, als wollte er noch ein letztes Stäubchen wegblasen, reichte mir dann mit fast nobler Geste den scheußlichsten aller Teller und bat Oskar, ungeniert zuzugreifen.
    Ich wollte erst nach ihm, forderte ihn auf, anzufangen. Nachdem er mich mit üblem, an den Fingern klebendem Besteck versorgt hatte, häufte er mit Suppenlöffel und Gabel einen guten Teil der Spaghetti auf meinem Teller, drückte mit eleganten Bewegungen einen langen Wurm Tomatenmark, Ornamente zeichnend, auf das Geschlinge, gab reichlich Öl aus der Dose dazu, tat sich dasselbe in dem Kochtopf an, schüttete Pfeffer über beide Portionen, vermengte seinen Anteil und forderte mich mit Blicken auf, meine Mahlzeit ähnlich zuzubereiten. »Ach, lieber Herr, verzeihen Sie, daß ich keinen geriebenen Parmesan im Hause habe. Dennoch wünsche ich einen guten und gesegneten Appetit.«
    Bis heute hat Oskar nicht verstehen können, wie er sich damals zum Gebrauch von Löffel und Gabel hat aufraffen können. Wunderbarerweise schmeckte mir das Gericht. Es wurden mir sogar jene Kleppschen Spaghetti zu einem kulinarischen Wertmesser, den ich von jenem Tage an jedem Menü anlegte, das mir vorgesetzt wurde.
    Während des Essens fand ich Muße, das Zimmer des Betthüters eingehend und doch unauffällig zu begutachten. Die Attraktion des Raumes war ein offenes, kreisrundes Kaminloch dicht unter der Decke; schwarz atmete es aus der Wand. Draußen vor den beiden Fenstern war es windig. Jedenfalls schienen es Windstöße zu sein, die gelegentlich Rußwolken aus dem Kaminloch in Klepps Zimmer blähten. Die legten sich gleichmäßig, Begräbnis zelebrierend, aufs Inventar. Da alles Inventar nur aus dem in der Mitte des Zimmers stehenden Bett und einigen, mit Packpapier bedeckten, gerollten Teppichen Zeidlerscher Herkunft bestand, konnte man mit Sicherheit behaupten: in jenem Zimmer war nichts geschwärzter als das ehemals weiße Bettuch, das Kopfkissen unter

Weitere Kostenlose Bücher