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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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trug Schwester Dorothea, wenn sie privat und ohne die Rotkreuzbrosche ausging.
    Wir aber gingen nach Hause, obgleich Matzerath noch bleiben wollte, weil ein Finne von ungefähr tausendachthundert Tonnen einlief und Wellen machte. Den Pferdekopf ließ der Kerl auf der Mole.
    Gleich darauf war der Rappe weiß und schrie. Schrie aber nicht, wie Pferde schreien, eher wie eine Wolke schreit, die weiß ist und laut und gefräßig einen Pferdekopf verhüllt. Was damals im Grunde ganz angenehm war, denn so sah man den Gaul nicht mehr, selbst wenn man sich denken konnte, was hinter dem Irrsinn steckte. Auch lenkte der Finne uns ab, der Holz geladen hatte und rostig war wie die Friedhofsgitter auf Saspe. Meine arme Mama jedoch guckte sich weder nach dem Finnen noch nach den Möwen um. Die hatte genug. Wenn sie auch früher auf unserem Klavier »Kleine Möwe flieg nach Helgoland« nicht nur gespielt, auch gesungen hatte, das Liedchen sang sie nie mehr, sang überhaupt nix mehr, wollte auch anfangs keinen Fisch mehr essen, fing aber eines schönen Tages an, so viel und so fetten Fisch zu essen, bis sie nicht mehr konnte, nein, wollte, genug hatte, nicht nur vom Aal, auch vom Leben, besonders von den Männern, vielleicht auch von Oskar, jedenfalls wurde sie, die sonst auf nichts verzichten konnte, plötzlich genügsam, enthaltsam und ließ sich in Brenntau beerdigen. Das aber habe ich wohl von ihr, daß ich einerseits auf nichts verzichten will und andererseits ohne alles auskommen kann; nur ohne geräucherte Aale, auch wenn die noch so teuer sind, kann ich nicht leben.
    Das galt auch von Schwester Dorothea, die ich nie gesehen hatte, deren Lackgürtel mir nur mäßig gefiel — und ich konnte mich dennoch nicht von dem Gürtel lösen, der hörte nicht mehr auf, vermehrte sich sogar, denn ich öffnete mir mit der freien Hand die Hosenknöpfe und machte das, um mir die Krankenschwester, die mir durch die vielen gelackten Aale, auch den einlaufenden Finnen undeutlich geworden war, wieder vorstellen zu können.
    Allmählich gelang es Oskar, rückfällig immer wieder zur Hafenmole verwiesen, schließlich mit Hilfe der Möwen die Welt der Schwester Dorothea zumindest in jener Hälfte des Kleiderschrankes wiederzufinden, der ihre leere, aber dennoch ansprechende Berufskleidung beherbergte. Als ich sie endlich ganz deutlich sah und Einzelheiten ihres Gesichtes wahrzunehmen glaubte, glitten die Riegel aus den ausgeleierten Fallen: mißtönend fielen die Schranktüren auseinander, jähe Helle wollte mich irritieren, und Oskar mußte sich Mühe geben, daß er die zunächst hängende Armelschürze der Schwester Dorothea nicht befleckte.
    Nur um einen notwendigen Übergang zu schaffen, auch um den Aufenthalt im Schrankinneren, der mich wider Erwarten angestrengt hatte, spielerisch aufzulösen, trommelte ich — was ich seit Jahren nicht mehr getan hatte — einige lockere Takte mehr oder weniger geschickt gegen die trockene hintere Kastenwand, verließ dann den Schrank, überprüfte noch einmal den Zustand seiner Sauberkeit — ich konnte mir wirklich nichts vorwerfen — selbst der Lackgürtel hatte noch seinen Glanz, nein, einige blinde Stellen mußten gerieben werden, auch angehaucht, bis der Gürtel nochmals zu dem wurde, was an Aale erinnerte, die man während meiner frühesten Jugend auf der Hafenmole zu Neufahrwasser fing.
    Ich, Oskar, verließ die Kammer der Schwester Dorothea, indem ich jener Vierzig-Watt-Glühbirne den Strom nahm, die mir während des ganzen Besuches zugesehen hatte.

KLEPP
    Sicherheitshalber wartete Oskar, stieg betont langsam in seine Kleider, reinigte, äußerlich ruhig, seine Fingernägel und entschloß sich dann erst zum Handeln. Ich ging in die Küche, setzte auf dem größten Brenner des dreiflammigen Gasherdes einen Aluminiumtopf halbgefüllt mit Wasser auf, ließ die Flamme erst stark brennen, drehte, sobald das Wasser Dämpfe entwickelte, den Hahn bis zur kleinsten Einstellung, trat dann, meine Gedanken sorgsam hütend und möglichst in der Nähe der jeweiligen Handlungen belassend, mit zwei Schritten vor die Kammer der Schwester Dorothea, faßte den Brief, den die Zeidlersche halb unter die Milchglastür geschoben hatte, war schon wieder in der Küche und hielt die Rückseite des Kuverts so lange vorsichtig über den Wasserdampf, bis ich es, ohne Schaden anzurichten, öffnen konnte. Das Gas hatte Oskar selbstverständlich schon abgestellt, bevor er den Brief des Dr. E. Werner über den Topf zu halten

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