Die Blechtrommel
Klepps Schädel und ein Handtuch, das sich der Betthüter immer übers Gesicht breitete, wenn ein Windstoß eine Rußwolke ins Zimmer befahl.
Die beiden Fenster des Raumes sahen gleich den Fenstern des Zeidlerschen Wohn-und Schlafzimmers auf die Jülicher Straße oder, genauer gesagt, ins grüne graue Blätterkleid jenes Kastanienbaumes, der der Fassade des Mietshauses vorstand. Als einziger Bildschmuck hing zwischen den Fenstern, mit Reißzwecken befestigt, das bunte, wahrscheinlich einer Illustrierten entstammende Bild der Elisabeth von England. Unter dem Bild hing an einem Mauerhaken ein Dudelsack, dessen Schottenstoffmuster gerade noch unter dem abgelagerten Ruß erkennbar war. Während ich das Farbfoto betrachtete, dabei weniger an Elisabeth und ihren Philipp, doch um so mehr an Schwester Dorothea dachte, die zwischen Oskar und dem Dr. Werner stand und womöglich verzweifelte, erklärte mir Klepp, daß er ein treuer und begeisterter Anhänger des englischen Königshauses sei, deshalb auch bei den Pipers eines schottischen Regimentes der britischen Besatzungsarmee Unterricht im Dudelsackblasen genommen habe, zumal die Elisabeth jenes Regiment als Kommandeur befehlige; er, Klepp, habe sie in der Wochenschau mit Schottenröckchen, von oben bis unten kariert, das Regiment besichtigen gesehen.
Merkwürdigerweise meldete sich da der Katholizismus in mir. Ich zweifelte an, ob die Elisabeth überhaupt etwas von der Dudelsackmusik verstehe, machte auch einige Bemerkungen über das schmachvolle Ende der katholischen Maria Stuart, kurz, Oskar ließ Klepp wissen, daß er die Elisabeth für unmusikalisch halte.
Eigentlich hatte ich einen Zornesausbruch des Royalisten erwartet. Der jedoch lächelte wie ein Besserwisser und bat mich um eine Erklärung, der er gegebenenfalls entnehmen könne, ob mir, dem kleinen Mann — so nannte'mich der Dicke — in Sachen Musik ein Urteil zuzutrauen sei.
Längere Zeit lang sah Oskar den Klepp an. Er hatte mich angesprochen, ohne zu wissen, was er in mir ansprach. Vom Kopf schoß es mir in den Buckel. Es war wie am Jüngsten Tag all meiner alten, zerschlagenen, erledigten Blechtrommeln. Die tausend Bleche, die ich zum Schrott geworfen hatte, und das eine Blech, das auf dem Friedhof Saspe begraben lag, sie standen auf, erstanden aufs neue, feierten heil und ganz Auferstehung, ließen sich hören, füllten mich aus, trieben mich von der Bettkante hoch, zogen mich, nachdem ich Klepp um Entschuldigung und einen Moment Geduld gebeten hatte, aus dem Zimmer, rissen mich an der Milchglastür und Kammer der Schwester Dorothea vorbei — noch lag das halbverdeckte Viereck des Briefes auf den Korridordielen — peitschten mich in mein Zimmer, ließen mir jene Trommel entgegenkommen, die mir der Maler Raskolnikoff geschenkt hatte, als er die Madonna 49 malte; und ich ergriff die Trommel, hatte das Blech, dazu beide Stöcke im Griff, drehte mich oder wurde gedreht, verließ mein Zimmer, sprang an der verfluchten Kammer vorbei, betrat wie ein Überlebender, der von langer Irrfahrt zurückkehrt, Klepps Spaghettiküche, machte keine Umstände, setzte mich auf die Bettkante, rückte mir die Weißrotgelackte zurecht, tändelte zuerst mit den Stöcken in der Luft, war wohl noch etwas verlegen und sah an dem erstaunten Klepp vorbei, ließ dann, wie zufällig, einen Stock auf das Blech fallen, ach, und das Blech gab Oskar Antwort, der war gleich mit dem zweiten Stock hinterdrein; und ich begann zu trommeln, der Reihe nach, am Anfang war der Anfang: der Falter trommelte zwischen Glühbirnen meine Geburtsstunde ein; die Kellertreppe mit ihren neunzehn Stufen trommelte ich und meinen Sturz von der Treppe, als man meinen dritten sagenhaften Geburtstag feierte; den Stundenplan der Pestalozzischule trommelte ich rauf und runter, bestieg mit der Trommel den Stockturm, saß mit der Trommel unter politischen Tribünen, trommelte Aale und Möwen, Teppichklopfen am Karfreitag, saß trommelnd auf dem zum Fußende hin verjüngten Sarg meiner armen Mama, nahm mir dann Herbert Truczinskis narbenreichen Rücken als Trommelvorlage und bemerkte, als ich die Verteidigung der polnischen Post am Heveliusplatz auf meinem Blech zusammenschlug, von weit her eine Bewegung am Kopfende jenes Bettes, auf dem ich saß, sah mit halbem Blick den aufgerichteten Klepp, der eine lächerliche Holzflöte unter dem Kopfkissen hervorzog, diese Flöte ansetzte und Töne hervorbrachte, die so süß, so unnatürlich, so meiner Trommelei gemäß
Weitere Kostenlose Bücher