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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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nach dessen bauernschlauen Regeln die Lehren des Marx mit dem Mythos des Jazz zu vermixen sind. Sollte ihm eines Tages ein etwas linksorientierter Priester, Typ Arbeiterpriester, über den Weg laufen, der außerdem eine Schallplattensammlung mit Dixielandmusik betreut, wird von jenem Tage an ein jazzwiederkäuender Marxist sonntags die Sakramente empfangen und seinen oben beschriebenen Körpergeruch mit den Ausdünstungen einer neugotischen Kathedrale mischen.
    Daß es auch mir so ergehe, sei mein Bett vor, aus dem mich der Bursche mit lebenswarmen Versprechungen locken will. Eingaben über Eingaben macht er beim Gericht, arbeitet Hand in Hand mit meinem Anwalt, verlangt eine Wiederaufnahme des Prozesses: Oskars Freispruch will er, Oskars Freiheit — raus aus der Anstalt mit unserem Oskar — und das alles nur, weil mir Klepp mein Bett nicht gönnt!
    Dennoch tut es mir nicht leid, daß ich als Zeidlers Untermieter einen liegenden Freund zu einem stehenden, umherstampfenden, manchmal sogar laufenden Freund machte. Außer jenen anstrengenden Stunden, die ich gedankenschwer der Schwester Dorothea widmete, hatte ich nun ein unbeschwertes Privatleben. »Hallo, Klepp!« schlug ich ihm auf die Schulter, »laß uns eine Jazz-Band gründen.« Und er tätschelte meinen Buckel, den er fast so liebte wie seinen Bauch. »Oskar und ich, wir gründen eine Jazz-Band!« verkündete Klepp der Welt. »Nur fehlt uns noch ein ordentlicher Guitarrist, der auch auf dem Banjo Bescheid weiß.«
    In der Tat gehört zur Trommel und Flöte noch ein zweites Melodieinstrument. Ein gezupfter Baß wäre, auch rein optisch, nicht schlecht gewesen, aber Bassisten waren schon damals schwer zu bekommen, und so suchten wir eifrig nach dem fehlenden Guitarristen. Wir gingen viel ins Kino, ließen uns, wie ich anfangs berichtete, zweimal in der Woche fotografieren, stellten mit den Paßbildchen, bei Bier, Blutwurst und Zwiebeln allerlei Unsinn ab. Klepp lernte damals die rote Ilse kennen, schenkte ihr leichtsinnigerweise ein Foto von sich, mußte sie alleine deshalb schon heiraten — nur einen Guitarristen fanden wir nicht.
    Wenn mir auch die Düsseldorfer Altstadt mit ihren Butzenscheiben, mit Senf auf Käse, Bierdunst und niederrheinischer Schunkelei wegen meiner Tätigkeit als Modell auf der Kunstakademie einigermaßen bekannt war, sollte ich sie doch erst an Klepps Seite richtig kennenlernen. Wir suchten den Guitarristen rund um die Lambertuskirche, in allen Kneipen und besonders in der Ratingerstraße, im »Einhorn«, weil dort Bobby zum Tanz aufspielte, uns manchmal mit Flöte und Blechtrommel einsteigen ließ, meinem Blech Beifall spendete, obgleich Bobby selber ein ausgezeichneter Schlagzeuger war, dem leider an der rechten Hand ein Finger fehlte.
    Wenn wir auch im »Einhorn« keinen Guitarristen fanden, bekam ich doch einige Routine, hatte ja auch meine Erfahrungen aus der Fronttheaterzeit her und hätte schon nach kürzester Frist einen passablen Schlagzeuger abgegeben, wenn Schwester Dorothea mir nicht dann und wann einen Einsatz vermasselt hätte.
    Die Hälfte meiner Gedanken waren immer bei ihr. Das wäre noch zu verschmerzen gewesen, wenn die andere Hälfte der Gedanken vollständig, von Punkt zu Punkt in der Nähe meiner Blechtrommel geblieben wären. Es war aber so , daß ein Gedanke bei der Trommel begann und bei der Rotkreuzbrosche der Schwester Dorothea endete. Klepp, der es verstand, meine Versager meisterhaft mit seiner Flöte zu überbrücken, sorgte sich jedesmal, wenn er Oskar so zur Hälfte in Gedanken versunken sah. »Hast du vielleicht Hunger, soll ich Blutwurst bestellen?«
    Klepp witterte hinter jedem Leid dieser Welt einen wölfischen Hunger, und so glaubte er auch, jedes Leid mit einer Portion Blutwurst kurieren zu können. Oskar aß in jener Zeit sehr viel frische Blutwurst mit Zwiebelringen und trank Bier dazu, damit sein Freund Klepp glaubte, Oskars Leid heiße Hunger und nicht Schwester Dorothea.
    Wir verließen zumeist sehr früh Zeidlers Wohnung in der Jülicher Straße und frühstückten in der Altstadt. In die Akademie ging ich nur noch, wenn wir Geld fürs Kino brauchten. Die Muse Ulla hatte sich inzwischen zum dritten oder vierten Mal mit dem Maler Lankes verlobt, war also unabkömmlich, denn Lankes bekam seine ersten großen Industrieaufträge. Das Modellstehen ohne Muse machte jedoch Oskar keinen Spaß — man verzeichnete ihn wieder, schwärzte ihn gräßlich an, und so gab ich mich ganz meinem Freund Klepp

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