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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Klepp in den Überresten eines Bettes. Er faulte bei bester Laune, hielt sich in Reichweite einen altmodischen, recht barock anmutenden Spirituskocher, ein gutes Dutzend Spaghettipackungen, Dosen Olivenöl, Tomatenmark in Tuben, feuchtklumpiges Salz auf Zeitungspapier und einen Kasten Flaschenbier, das, wie sich herausstellen sollte, lauwarm war. In die leeren Bierflaschen urinierte er liegend, schloß dann, wie er ein Stündchen später vertraulich zu erzählen wußte, die zumeist ganz gefüllten, in ihrem Fassungsvermögen ihm angepaßten grünlichen Behältnisse, stellte sie abseits und streng gesondert von den noch wortwörtlichen Bierflaschen auf, damit bei eventuellem Bierdurst des Bettbewohners die Gefahr einer Verwechslung gebannt war. Obgleich er Wasser im Zimmer hatte — er hätte bei einigem Unternehmungsgeist ins Waschbecken urinieren können — war er zu faul oder, besser gesagt, zu sehr durch sich selbst am Aufstehen verhindert, als daß er sein mit soviel Mühe eingelegenes Bett hätte verlassen, in seinem Spaghettitopf frisches Wasser hätte holen können.
    Da Klepp als Herr Münzer die Teigwaren fürsorglich immer in demselben Wasser kochte, also die schon mehrmals abgegossene, immer sämiger werdende Brühe wie seinen Augapfel hütete, gelang es ihm, gestützt auf den Vorrat leerer Bierflaschen, die waagerechte, dem Bett angepaßte Haltung oftmals mehr als vier Tage beizubehalten. Der Notstand trat ein, wenn die Spaghettibrühe zum versalzenen, klebenden Rest zusammengekocht war. Zwar hätte sich Klepp dann dem Hunger überlassen können; aber dazu fehlten ihm damals noch die ideologischen Voraussetzungen, auch schien seine Askese von vorneherein auf vier-bis fünftägige Perioden bemessen gewesen zu sein, sonst hätte Frau Zeidler, die ihm die Post brachte, oder ein größerer Spaghettitopf und ein dem Teigwarenvorrat angemessenes Wasserreservoir ihn noch unabhängiger von seiner Umwelt machen können.
    Als Oskar das Postgeheimnis verletzte, lag Klepp seit fünf Tagen unabhängig zu Bett: mit dem Rest seines Spaghettiwassers hätte er Plakate an Litfaßsäulen kleben können. Da hörte er meinen unentschlossenen, der Schwester Dorothea und ihren Briefen gewidmeten Schritt auf dem Korridor.
    Nachdem er erfahren hatte, daß Oskar auf gekünstelte, auffordernde Hustenanfälle nicht reagierte, bemühte er an jenem Tage, da ich Dr. Werners kühl leidenschaftlichen Liebesbrief las, seine Stimme:
    »Ach lieber Herr, würden Sie mir bitte etwas Wasser bringen?«
    Und ich nahm den Topf, goß das laue Wasser aus, drehte den Leitungshahn auf, ließ es rauschen, bis das Töpfchen halbvoll war, gab noch etwas dazu, noch einen Guß, und brachte ihm frisches Wasser, war der liebe Herr, den er in mir vermutete, stellte mich vor, nannte mich Matzerath, Steinmetz und Schrifthauer.
    Er, gleichfalls höflich, hob seinen Oberkörper um einige Grad, nannte sich, Egon Münzer, Jazzmusiker, bat mich aber, ihn Klepp zu nennen, da schon sein Vater Münzer heiße. Ich verstand seinen Wunsch allzugut, nannte ich mich doch vorzugsweise Koljaiczek oder einfach Oskar, trug den Namen Matzerath nur aus Demut und konnte mich nur selten entschließen, Oskar Bronski zu heißen. Es fiel mir also nicht schwer, den liegenden dicken jungen Mann — auf dreißig schätzte ich ihn, er war aber jünger — schlicht und direkt Klepp zu nennen. Er hieß mich Oskar, weil ihm der Name Koljaiczek zuviel Mühe bereitete.
    Wir überließen uns einem Gespräch, gaben uns anfangs jedoch Mühe, zwanglos zu bleiben. Plaudernd berührten wir leichteste Themen: ich wollte wissen, ob er unser Schicksal für unabänderlich halte. Er hielt es für unabänderlich. Ob er der Meinung sei, alle Menschen müßten sterben, wollte Oskar wissen. Auch den endlichen Tod aller Menschen hielt er für gewiß, war aber nicht sicher, ob alle Menschen geboren werden müssen, sprach von sich als von einer irrtümlichen Geburt, und Oskar fühlte sich ihm abermals verwandt. Auch glaubten wir beide an den Himmel — er jedoch ließ, als er Himmel sagte, ein leicht dreckiges Lachen hören, kratzte sich unter der Bettdecke: man durfte annehmen, daß der Herr Klepp schon bei Lebzeiten Unanständigkeiten plante, die er im Himmel auszuführen gedachte. Als wir auf die Politik zu sprechen kamen, wurde er fast leidenschaftlich, nannte mir über dreihundert deutsche Fürstenhäuser, denen er auf der Stelle Würde, Krone und Macht geben wollte; die Gegend um Hannover sprach er dem

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