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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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waren, daß ich ihn auf den Friedhof Saspe zu Schugger Leo führen konnte, daß ich, als Schugger Leo ausgetanzt hatte, vor ihm, für ihn und mit ihm das Brausepulver meiner ersten Liebe aufschäumen lassen konnte; selbst in den Dschungel der Frau Lina Greff führte ich ihn, ließ auch die große fünfundsiebenzig Kilo aufwiegende Trommelmaschine des Gemüsehändlers Greff abschnurren, nahm Klepp auf in Bebras Fronttheater, ließ Jesus auf meinem Blech laut werden, trommelte Störtebeker und alle Stäuber vom Sprungturm hinunter — und unten saß Luzie — ich aber erlaubte Ameisen und Russen, meine Trommel zu besetzen, führte ihn aber nicht noch einmal auf den Friedhof Saspe, wo ich die Trommel dem Matzerath nachwarf, sondern schlug mein großes, nie endendes Thema an: Kaschubische Kartoffeläcker, Oktoberregen drüber, da sitzt meine Großmutter in ihren vier Röcken; und Oskars Herz drohte zum Stein zu werden, als ich vernahm, wie aus Klepps Flöte der Oktoberregen rieselte, wie Klepps Flöte unter Regen und vier Röcken meinen Großvater, den Brandstifter Joseph Koljaiczek aufspürte und wie dieselbe Flöte die Zeugung meiner armen Mama feierte und bewies.
    Wir spielten mehrere Stunden lang. Als wir die Flucht meines Großvaters über die Holzflöße hinreichend variiert hatten, beendeten wir leicht erschöpft, aber auch glücklich das Konzert mit der hymnischen Andeutung einer möglichen, wunderbaren Rettung des verschollenen Brandstifters.
    Mit dem letzten Ton noch halb in der Flöte sprang Klepp aus seinem eingelegenen Bett.
    Leichengerüche folgten ihm. Er aber riß die Fenster auf, verstopfte mit Zeitungspapier das Kaminloch, zerfetzte das bunte Bild der Elisabeth von England, erklärte das Ende der royalistischen Zeit, ließ Wasser aus dem Leitungshahn in den Spülstein springen: wusch sich, er wusch sich, Klepp begann sich zu waschen, alles wagte er abzuwaschen, das war kein Waschen mehr, das war eine Waschung; und als der Gewaschene abließ vom Wasser und dick, tropfend, nackt, schier platzend, mit häßlichem schief hängendem Geschlecht vor mir stand, mich hob, mit gestreckten Armen hob — denn Oskar war und ist leicht — als dann das Lachen in ihm ausbrach, herausfand und gegen die Zimmerdecke schlug, da begriff ich, nicht nur Oskars Trommel war auferstanden, auch Klepp war ein Auferstandener — und wir beglückwünschten uns gegenseitig und küßten uns die Wangen.
    Am selben Tag noch — wir gingen gegen Abend aus, tranken Bier, aßen Blutwurst mit Zwiebeln — schlug mir Klepp vor, mit ihm eine Jazzkapelle zu begründen. Zwar bat ich mir Bedenkzeit aus, aber Oskar hatte sich schon entschlossen, nicht nur seinen Beruf, das Schriftklopfen beim Steinmetz Korneff, sondern auch das Modellstehen mit der Muse Ulla aufzugeben und Schlagzeuger einer Jazz-Band zu werden.

AUF DEM KOKOSTEPPICH
    So lieferte damals Oskar seinem Freund Klepp die Gründe fürs Aufstehen. Wenn er auch überfreudig aus seinen muffigen Tüchern sprang, sogar Wasser an sich heranließ und ganz zu dem Mann wurde, der Hoppla sagt und Was kostet die Welt, möchte ich heute, da der Betthüter Oskar heißt, behaupten: Klepp will sich an mir rächen, will mir das Gitterbett der Heil-und Pflegeanstalt vermiesen, weil ich ihm das Bett seiner Spaghettiküche vermieste.
    Einmal in der Woche muß ich mir seinen Besuch gefallen lassen, seine optimistischen Jazztiraden, seine musikalisch-kommunistischen Manifeste muß ich mir anhören, denn er, der als Betthüter einen treuen Royalisten abgab und dem englischen Königshaus anhing, wurde, kaum hatte ich ihm sein Bett und seine Dudelsack-Elisabeth genommen, zahlendes Mitglied der KPD, treibt das heute noch als illegales Hobby, indem er Bier trinkt, Blutwurst tilgt und harmlosen Männchen, die an Theken stehen und Flaschenaufschriften studieren, die beglückenden Gemeinsamkeiten einer vollbeschäftigten Jazzband und einer sowjetischen Kolchose aufzählt.
    Es bieten sich dem aufgescheuchten Träumer heutzutage nur noch wenige Möglichkeiten. Einmal dem eingelegenen Bett entfremdet, konnte Klepp Genosse werden — sogar illegal, was den Reiz erhöhte.Jazzfan hieß die zweite, ihm gebotene Konfession. Drittens hätte er, der getaufte Protestant, konvertieren und Katholik werden können.
    Man muß es Klepp lassen: er hat sich die Zufahrtstraßen zu allen Glaubensbekenntnissen offengehalten. Vorsicht, sein schweres glänzendes Fleisch und sein Humor, der vom Beifall lebt, gaben ihm ein Rezept ein,

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