Die Blechtrommel
hin; denn auch bei Maria und Kurtchen fand ich keine Ruhe. Dort hauste allabendlich ihr Chef und verheirateter Verehrer, der Stenzel.
Als Klepp und ich eines Tages, im Frühherbst neunundvierzig, unsere Zimmer verließen, uns auf dem Korridor, etwa auf der Höhe der Milchglastür trafen, mit Instrumenten die Wohnung verlassen wollten, rief uns Zeidler an, der die Tür seines Wohn-und Schlafzimmers einen Spalt breit geöffnet hatte.
Eine schmale, aber dicke Teppichrolle schob er vor sich her, auf uns zu und verlangte, daß wir ihm beim Legen und Befestigen des Teppichs halfen. Der Teppich war ein Kokosläufer. Acht Meter und zwanzig Zentimeter lang war der Läufer. Da der Korridor der Zeidlerschen Wohnung jedoch nur sieben Meter und fünfundvierzig Zentimeter lang war, mußten Klepp und ich fünfundsiebenzig Zentimeterdes Kokosläufers abschneiden. Wir machten das sitzend, da sich das Abschneiden von Kokosfasern als harte Arbeit herausstellte. Nachher war der Kokosläufer um zwei Zentimeter zu kurz.
Da der Läufer genau die Breite des Korridors hatte, bat uns Zeidler, der sich angeblich schlecht bücken konnte, mit vereinten Kräften den Läufer auf die Dielen zu nageln. Es war Oskars Einfall, beim Nageln den Läufer zu strecken. So gelang es uns, die fehlenden zwei .Zentimeter bis auf einen geringfügigen Rest wieder herauszuschinden. Wir vernagelten Nägel mit breiten flachen Köpfen, da schmalköpfige Nägel dem locker geflochtenen Kokosläufer keinen Halt gegeben hätten. Weder Oskar noch Klepp schlugen sich auf den Daumen. Allerdings schlugen wir einige Nägel krumm. Das lag aber an der Qualität der Nägel, die aus Zeidlers Vorrat, also aus Vorwährungsreformzeiten stammten.
Als der Kokosläufer zur Hälfte fest an den Dielen haftete, legten wir unsere Hämmer über kreuz und blickten den Igel, der unsere Arbeit überwachte, zwar nicht aufdringlich, aber erwartungsvoll an. Er verschwand auch in seinem Wohn-und Schlafzimmer, kam mit drei Likörgläsern aus seinem Likörgläservorrat zurück und hatte auch eine Flasche Doppelkorn bei sich. Wir tranken auf die Haltbarkeit des Kokosläufers, meinten hinterher, wiederum nicht aufdringlich, eher erwartungsvoll: Kokosfaser macht durstig. Vielleicht freuten sieh die Likörgläser des Igels, daß mehrmals hintereinander Doppelkorn in ihnen Platz finden durfte, bevor ein familiärer Zornesausbruch des Igels sie zu Scherben werden ließ. Als Klepp versehentlich ein leeres Likörgläschen auf den Kokosläufer kippte, ging das Gläschen nicht kaputt und gab auch keinen Ton von sich. Wir lobten alle den Kokosläufer. Als Frau Zeidler, die von der Wohn-und Schlafzimmertür unserer Arbeit zusah, gleich uns den Kokosläufer lobte, weil der Kokosläufer fallende Likörgläser vor Schaden bewahrte, geriet der Igel in Zorn. Er stampfte den noch nicht festgenagelten Teil des Kokosläufers, riß die drei leeren Likörgläser an sich, verschwand so beladen im Zeidlerschen Wohn-und Schlafzimmer, die Vitrine hörten wir klirren — er faßte noch mehr Gläser, da ihm drei Gläschen nicht genügten — und gleich darauf hörte Oskar eine ihm wohlbekannte Musik: vor seinem geistigen Auge entstand der Zeidlersche Dauerbrandofen, acht zerscherbte Likörgläser lagen zu Füßen des Ofens, und Zeidler bückte sich nach Kehrblech und Handfeger, fegte als Zeidler jene Scherben zusammen, die er als Igel gemacht hatte.
Frau Zeidler jedoch blieb in der Tür, als es hinter ihr schepperte und klirklirklir machte. Sie interessierte sich sehr für unsere Arbeit, zumal wir wieder zu unseren Hämmern gegriffen hatten, als der Igel in Zorn geriet. Der kam nicht mehr zurück, hatte aber die Doppelkornflasche bei uns gelassen.
Wir genierten uns zuerst vor der Frau Zeidler, wenn wir nacheinander die Flasche an den Hals setzten.
Aber sie nickte uns freundlich zu, was uns aber nicht bewegen konnte, ihr die Flasche und einen Schluck anzubieten. Dennoch arbeiteten wir sauber und schlugen Nagel um Nagel in den Kokosläufer.
Als Oskar den Kokosläufer vor der Kammer der Krankenschwester annagelte, klirrten bei jedem Hammerschlag die Milchglasscheiben. Das berührte ihn schmerzlich, und er mußte einen schmerzensreichen Augenblick lang den Hammer sinken lassen. Sobald er aber an der Milchglastür vor der Kammer der Schwester Dorothea vorbei war, ging es ihm und seinem Hammer wieder besser.
Wie alles einmal ein Ende hat, hatte auch das Festnageln des Kokosläufers ein Ende. Von Ecke zu Ecke liefen die
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