Die Blechtrommel
Anteilnahme nicht fanden, plärrte auch schon ein ganzer ungewaschener Chor:
Glas, Glas, Gläschen, Zucker ohne Bier, Frau Holle macht das Fenster auf und spielt Klavier.
Gewiß, ein dummer und nichtssagender Kindervers. Mich störte das Liedchen kaum, wenn ich hinter meiner Trommel mitten hindurch, durch Gläschen und Frau Holle stampfte, dabei den einfältigen Rhythmus, der ja nicht ohne Reiz ist, aufnahm und Glas, Glas, Gläschen trommelnd, ohne ein Rattenfänger zu sein, die Kinder nachzog.
Auch heute noch, etwa wenn Bruno die Scheiben meines Zimmerfensters putzt, räume ich diesem Vers und Rhythmus auf meiner Trommel ein Plätzchen ein.
Störender als das Spottlied der Nachbarskinder und ärgerlicher, besonders für meine Eltern, war die kostspielige Tatsache, daß mir oder vielmehr meiner Stimme jede in unserem Viertel von mutwilligen, unerzogenen Rowdys zerworfene Fensterscheibe zur Last gelegt wurde. Anfangs bezahlte Mama auch treu und brav die zumeist mit Katapultschleudern zertrümmerten Küchenfensterscheiben, dann endlich begriff auch sie mein Stimmphänomen, forderte bei Schadenansprüchen Beweise und machte dabei sachlich kühlgraue Augen. Die Leute der Nachbarschaft taten mir wirklich Unrecht. Nichts war zu dem Zeitpunkt verfehlter, als anzunehmen, es besäße mich kindliche Zerstörungswut, ich fände das Glas oder Glasprodukte auf jene unerklärliche Art hassenswert, wie eben Kinder manchmal ihre dunklen und planlosen Abneigungen in wütigen Amokläufen demonstrieren. Nur wer spielt, zerstört mutwillig. Ich spielte nie, ich arbeitete auf meiner Trommel, und was meine Stimme anging, gehorchte diese vorerst nur der Notwehr. Allein Sorge um den Fortbestand meiner Arbeit auf der Trommel hieß mich, meine Stimmbänder so zielstrebig zu gebrauchen. Wenn es mir möglich gewesen wäre, mit den gleichen Tönen und Mitteln etwa langweilige, kreuz und quer bestickte, Gretchen Schefflers Musterphantasie entsprungene Tischtücher zu zerschneiden oder die düstere Politur vom Klavier zu lösen, hätte ich alles Gläserne mit Freude heil und klangvoll belassen. Doch meiner Stimme blieben Tischdecken und Polituren gleichgültig. Weder gelang es mir, mit unermüdlichem Schrei das Tapetenmuster zu löschen, noch mit zwei langgezogenen, auf und ab schwellenden, sich steinzeitlich mühsam aneinander reibenden Tönen Wärme bis Hitze zu erzeugen, endlich den Funken springen zu lassen, der nötig gewesen wäre, die zundertrockenen, tabakrauchgewürzten Gardinen vor den beiden Fenstern des Wohnzimmers zu dekorativen Flammen werden zu lassen. Keinem Stuhl, auf dem etwa Matzerath oder Alexander Scheffler saßen, sang ich das Bein ab. Gerne hätte ich mich harmloser und weniger wunderbar gewehrt, aber nichts Harmloses wollte mir dienen, einzig das Glas hörte auf mich und mußte dafür bezahlen.
Die erste erfolgreiche Darbietung dieser Art bot ich kurz nach meinem dritten Geburtstag. Ich besaß die Trommel damals vielleicht reichliche vier Wochen und hatte sie während dieser Zeit, fleißig wie ich war, kaputtgeschlagen. Zwar hielt die weißrot geflammte Einfassung noch Trommelboden und Trommelfläche zusammen, aber das Loch in der Mitte der tonangebenden Seite ließ sich nicht mehr übersehen, wurde, da ich den Trommelboden verschmähte, auch immer größer, franste aus, bekam zackige, scharfe Ränder, dünngetrommelte Blechteilchen splitterten ab, fielen ins Innere der Trommel, klapperten mißgelaunt bei jedem Schlag mit, und überall auf dem Teppich des Wohnzimmers und auf den rotbraunen Dielen des Schlafzimmers schimmerten weiße Lackpartikel, die es auf meinem gemarterten Trommelblech nicht mehr hatten aushallen wollen.
Man befürchtete, ich würde mich an den gefährlich scharfen Blechkanten reißen. Besonders Matzerath, der nach meinem Sturz von der Kellertreppe Vorsicht mit Vorsicht überbot, riet mir Vorsicht beim Trommeln an. Da ich mit den Pulsadern tatsächlich immer und in heftigster Bewegung dem gezackten Kraterrand nahe war, muß ich zugeben, daß Matzeraths Befürchtungen zwar übertrieben, doch nicht ganz grundlos waren. Nun hätte man mit einer neuen Trommel alle Gefahr aus dem Wege räumen können; sie aber dachten gar nicht an eine neue Trommel, wollten mir mein gutes altes Blech, das mit mir stürzte, ins Krankenhaus kam und mit mir gleichzeitig entlassen wurde, das mit mir treppauf treppab, das mit mir auf Kopfsteinpflaster und Bürgersteigen, durch »Saurer Hering, eins, zwei, drei« hindurch und
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