Die Blechtrommel
lüpfend erst mit der Fußspitze, dann mit dem ganzen gefüllten Socken, der allerdings vom selben Tage und beinah frisch war, zwischen ihren Schenkeln wandern konnte. Alle Bewunderung für meine Mama, die trotz dieser wollenen Belästigung unter der Tischplatte oben auf strammem Tischtuch die gewagtesten Spiele, darunter einen Kreuz ohne Viern, sicher und von humorigster Rede begleitet, gewann, während Jan mehrere Spiele, die selbst Oskar mit schlafwandlerischer Sicherheit nach Hause gebracht hätte, unten immer forscher werdend, oben verlor.
Später kroch noch das müde Stephanchen unter den Tisch, schlief dort bald ein und begriff vorm Einschlafen nicht, was seines Vaters Hosenbein unterm Kleid meiner Mama suchte.
Heiter bis wolkig. Leichte Schauer am Nachmittag. Am nächsten Tag schon kam Jan Bronski, holte sein für mich bestimmtes Geburtstagsgeschenk, das Segelschiff ab, tauschte das dürftige Spielzeug beim Sigismund Markus in der Zeughauspassage gegen eine Blechtrommel ein, kam leicht verregnet am späten Nachmittag mit jener mir so vertraut weißrot geflammten Trommel zu uns, hielt sie mir hin, faßte gleichzeitig das gute alte Blechwrack, dem nur Fragmente weißroten Lackes geblieben waren.
Und während Jan das müde Blech, ich das frische faßten, blieben Jans, Mamas, Matzeraths Augen auf Oskar gerichtet — fast mußte ich lächeln — ja dachten die denn, ich klebte am Althergebrachten, nährte Prinzipien in meiner Brust?
Ohne den von allen erwarteten Schrei, ohne den glastötenden Gesang laut werden zu lassen, gab ich die Schrotttrommel ab und widmete mich sogleich mit beiden Händen dem neuen Instrument. Nach zwei Stunden aufmerksamster Trommelei hatte ich mich eingespielt.
Doch nicht alle Erwachsenen meiner Umgebung zeigten sich so einsichtig wie Jan Bronski. Kurz nach meinem fünften Geburtstag im Jahre neunundzwanzig — man erzählte sich damals viel von einem New Yorker Börsenkrach, und ich überlegte, ob auch mein mit Holz handelnder Großvater Koljaiczek im fernen Buffalo Verluste zu erleiden hatte — begann Mama, durch mein nun nicht mehr zu übersehendes, ausbleibendes Wachstum beunruhigt, mich bei der Hand nehmend, mit den Mittwochbesuchen in der Praxis des Dr. Hollatz im Brunshöferweg. Ich ließ mir die überaus lästigen und endlos währenden Untersuchungen gefallen, weil mir die weiße, dem Auge wohltuende Schwesterntracht der Schwester Inge, die dem Hollatz helfend zur Seite stand, schon damals gefiel, an Mamas im Foto festgehaltene Krankenschwesternzeit während des Krieges erinnerte, und es mir durch intensive Beschäftigung mit dem immer neuen Faltenwurf der Pflegerinnentracht gelang, den röhrenden, betont kraftvollen, dann wieder unangenehm onkelhaften Wortschwall des Arztes zu überhören.
Mit den Brillengläsern das Inventar der Praxis spiegelnd — es gab da viel Chrom, Nickel und Schleiflack; dazu Regale, Vitrinen, in denen sauber beschriftete Gläser mit Schlangen, Molchen, Kröten, Schweine-, Menschen-und Affenembryonen standen — diese Früchte im Spiritus mit dem Brillenglas einfangend, schüttelte Hollatz nach den Untersuchungen bedenklich und in meiner Krankengeschichte blätternd den Kopf, ließ sich immer wieder von Mama meinen Sturz von der Kellertreppe erzählen und beruhigte sie, wenn sie Matzerath, der die Falltür offen gelassen hatte, hemmungslos beschimpfte und für alle Zeiten schuldig sprach.
Als er mir nach Monaten anläßlich eines Mittwochbesuches, wahrscheinlich um sich, vielleicht auch der Schwester Inge den Erfolg seiner bisherigen Behandlung zu beweisen, meine Trommel nehmen wollte, zerstörte ich ihm den größten Teil seiner Schlangen-und Krötensammlung, auch alles was er an Embryonen verschiedenster Herkunft zusammengetragen hatte.
Von gefüllten, aber nicht abgedeckten Biergläsern abgesehen und Mamas Parfümflakons ausgenommen, war es das erste Mal, daß Oskar sich an einer Menge gefüllter und peinlich verschlossener Gläser versuchte. Der Erfolg war einzigartig und für alle Beteiligten, selbst für Mama, die ja mein Verhältnis zum Glas kannte, überwältigend, überraschend. Gleich mit dem ersten noch sparsam beschnittenen Ton schnitt ich die Vitrine, in der Hollatz all seine ekelhaften Merkwürdigkeiten verwahrte, der Länge und Breite nach auf, ließ sodann eine nahezu quadratische Scheibe aus der Ansichtsseite der Vitrine vornüber klappen und auf den Linoleumfußboden fallen, wo sie platt auf dem Boden, die quadratische Form
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