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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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achten Stufe, nein, eine tiefer, oder die fünfte täte es auch. Aber Sicherheit und glaubwürdiger Schaden ließen sich von dort herab nicht verbinden. Wieder hinauf, zu hoch hinauf auf die zehnte Stufe, und endlich von der neunten Stufe hinab stürzte ich mich, ein Regal voller Flaschen mit Himbeersirup mitreißend, kopfvoran auf den Zementboden unseres Lagerkellers.
    Noch bevor sich meinem Bewußtsein die Gardine vorzog, bestätigte ich mir den Erfolg des Experimentes: die mit Absicht herabgerissenen Himbeersirupflaschen lärmten genug, um Matzerath aus der Küche, Mama vom Klavier, den Rest der Geburtstagsgesellschaft aus den Vogesen in den Laden zur offenen Falltür und die Treppe hinunter zu locken.
    Bevor sie kamen, ließ ich noch den Geruch des fließenden Himbeersirups auf mich wirken, nahm auch wahr, daß mein Kopf blutete, und überlegte mir noch, während sie schon auf der Treppe waren, ob wohl Oskars Blut oder die Himbeeren so süß und müde machend rochen, war aber heilfroh, daß alles geklappt und die Trommel dank meiner Vorsicht keinen Schaden genommen hatte.
    Ich glaube, Greff trug mich hoch. Im Wohnzimmer erst tauchte Oskar wieder aus jener Wolke auf, die wohl zur Hälfte aus Himbeersirup und zur anderen Hälfte aus seinem jungen Blut bestand. Der Arzt war noch nicht da, Mama schrie und schlug Matzerath, der sie beruhigen wollte, mehrmals und nicht nur mit der Handfläche, auch mit dem Handrücken, ihn einen Mörder nennend, ins Gesicht.
    Da hatte ich also — und die Ärzte haben es immer wieder bestätigt — mit einem einzigen, zwar nicht harmlosen, aber doch von mir wohldosierten Sturz nicht nur den für die Erwachsenen so wichtigen Grund des ausbleibenden Wachstums geliefert, sondern als Zugabe und ohne es eigentlich zu wollen, den guten harmlosen Matzerath zu einem schuldigen Matzerath gemacht. Er hatte die Falltür offen gelassen, ihm wurde von Mama alle Schuld aufgebürdet, und er hatte Gelegenheit, Jahre an dieser Schuld, die ihm Mama zwar nicht oft, aber dann unerbittlich vorwarf, zu tragen.
    Mir brachte der Sturz vier Wochen Krankenhausaufenthalt ein und danach, bis auf die späteren Mittwochbesuche bei Dr. Hollatz, verhältnismäßige Ruhe vor den Ärzten; schon anläßlich meines ersten Trommlertages war es mir gelungen, der Welt ein Zeichen zu geben, mein Fall war geklärt, bevor die Erwachsenen ihn dem wahren, von mir bestimmten Sachverhalt nach begriffen hatten.
    Fortan hieß es: an seinem dritten Geburtstag stürzte unser kleiner Oskar die Kellertreppe hinunter, blieb zwar sonst beieinander, nur wachsen wollte er nicht mehr.
    Und ich begann zu trommeln. Unser Mietshaus zählte vier Etagen. Vom Parterre bis zu den Bodenverschlägen trommelte ich mich hoch und wieder treppab. Vom Labesweg zum Max-Halbe-Platz, von dort nach Neuschottland, Anton-Möller-Weg, Marienstraße, Kleinhammerpark, Aktienbierbrauerei, Aktienteich, Fröbelwiese, Pestalozzischule, Neuer Markt und wieder hinein in den Labesweg. Meine Trommel hielt das aus, die Erwachsenen weniger, wollten meiner Trommel ins Wort fallen, wollten meinem Blech im Wege sein, wollten meinen Trommelstöcken ein Bein stellen — aber die Natur sorgte für mich.Die Fähigkeit, mittels einer Kinderblechtrommel zwischen mir und den Erwachsenen eine notwendige Distanz ertrommeln zu können, zeitigte sich kurz nach dem Sturz von der Kellertreppe fast gleichzeitig mit dem Lautwerden einer Stimme, die es mir ermöglichte, in derart hoher Lage anhaltend und vibrierend zu singen, zu schreien oder schreiend zu singen, daß niemand es wagte, mir meine Trommel, die ihm die Ohren welk werden ließ, wegzunehmen; denn wenn mir die Trommel genommen wurde, schrie ich, und wenn ich schrie, zersprang Kostbarstes: ich war in der Lage, Glas zu zersingen; mein Schrei tötete Blumenvasen; mein Gesang ließ Fensterscheiben ins Knie brechen und Zugluft regieren; meine Stimme schnitt gleich einem keuschen und deshalb unerbittlichen Diamanten Vitrinen auf und verging sich im Inneren der Vitrinen, ohne dabei die Unschuld zu verlieren, an harmonischen, edel gewachsenen, von lieber Hand geschenkten, leicht verstaubten Likörgläsern.
    Es dauerte nicht lange, und meine Fähigkeiten wurden in unserer Straße, vom Brösener Weg bis zur Siedlung am Flugplatz, also im ganzen Quartier bekannt. Sahen mich die Kinder der Nachbarschaft, deren Spiele wie »Saurer Hering, eins, zwei drei« oder »Ist die Schwarze Köchin da« oder »Ich sehe was, was du nicht siehst« —meine

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