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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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platter Ruhe leicht diagonal auf dem Fell ruht und die polarische Heimat des Eisbars auf sich wirken läßt, halte ich den platzrunden Kinderkopf angestrengt hoch, blicke den jeweiligen Beschauer meiner Nacktheit mit Glanzlichtaugen an.
    Man mag sagen, ein Kinderfoto wie alle Kinderfotos. Betrachten Sie bitte die Hände: Sie werden zugeben müssen, daß sich mein frühestes Konterfei von den ungezählten, immer die gleich niedliche Existenz aufweisenden Blüten diverser Fotoalben einprägsam unterscheidet. Mit geballten Fäusten sieht man mich. Keine Wurstfinger, die selbstvergessen, einem noch dunklen haptischen Trieb gehorchend, mit den Zotteln des Eisbärfells spielen. Ernst gesammelt schweben die kleinen Griffe zu seilen des Kopfes, immer bereit, niederzufallen, den Ton anzugeben. Welchen Ton? Den Trommelton!Noch fehlt sie, die man mir anläßlich meiner Geburt unter den Glühbirnen zum dritten Geburtstag versprach; doch wäre es einem geübten Fotomonteur mehr als leicht, das entsprechende, also verkleinerte Klischee einer Kindertrommel einzurücken, ohne die geringsten Retuschen an meiner Körperlage vornehmen zu müssen. Nur das dumme, von mir nicht beachtete Stofftier müßte fort. Es ist ein Fremdkörper in dieser sonst gelungenen Komposition, der man jenes scharfsinnige, hellsichtige Alter, da die ersten Milchzähne durchbrechen wollen, zum Thema stellte.
    Später hat man mich nicht mehr auf Eisbärfelle gelegt. Eineinhalb Jahre alt mag ich gewesen sein, da man mich in einem hochrädrigen Kinderwagen vor einen Bretterzaun schob, dessen Zacken und Querverbindungen von einer Schneeschicht dergestalt deutlich nachgezeichnet sind, daß ich annehmen muß, die Aufnahme wurde im Januar sechsundzwanzig gemacht. Die klobige, nach geteertem Holz riechende Machart des Zaunes verbindet sich mir bei längerer Betrachtung mit dem Vorort Hochstrieß, dessen weitläufige Kasernenanlagen vormals den Mackensen-Husaren, zu meiner Zeit der Schutzpolizei des Freistaates, als Unterkunft dienten. Da ich mich jedoch an keine Person erinnern kann, die in dem so benannten Vorort wohnte, wird die Aufnahme anläßlich eines einmaligen Besuches meiner Eltern bei Leuten, die man später nie wieder oder nur flüchtig sah, gemacht worden sein.
    Mama und Matzerath, die den Kinderwagen zwischen sich halten, tragen trotz der kalten Jahreszeit keine Wintermäntel. Vielmehr kleidet Mama eine langärmelige Russenbluse, deren draufgestickte Ornamente sich dem winterlichen Bild den Eindruck erweckend mitteilen: im tiefsten Rußland wird eine Aufnahme der Zarenfamilie gemacht, Rasputin hält den Apparat, ich bin der Zarewitsch und hinter dem Zaun hocken Menschewiki und Bolschewiki, beschließen, Bomben bastelnd, den Untergang meiner selbstherrscherlichen Familie. Matzeraths korrektes, mitteleuropäisches, wie man sehen wird, zukunftträchtiges Kleinbürgertum bricht der im Foto schlummernden Moritat die gewaltsame Spitze ab. Man war im friedlichen Hochstrieß, verließ für einen Augenblick, ohne die Wintermäntel anzulegen, die Wohnung der Gastgeber, ließ sich mit dem kleinen, wunschgemäß drollig blickenden Oskar in der Mitte vom Hausherrn fotografieren, um es gleich darauf bei Kaffee, Kuchen und Schlagsahne warm, süß und vergnügt zu haben.
    Es gibt noch ein gutes Dutzend Schnappschüsse des liegenden, sitzenden, kriechenden, laufenden, einjährigen, zweijährigen, zweieinhalbjährigen Oskar. Die Aufnahmen sind mehr oder weniger gut, bilden insgesamt nur die Vorstufe zu jenem ganzfigürlichen Porträt, das man anläßlich meines dritten Geburtstages machen ließ.
    Da habe ich sie, die Trommel. Da hängt sie mir gerade, neu und weißrot gezackt vor dem Bauch. Da kreuze ich selbstbewußt und unter ernst entschlossenem Gesicht hölzerne Trommelstöcke auf dem Blech. Da habe ich einen gestreiften Pullover an. Da stecke ich in glänzenden Lackschuhen. Da stehen mir die Haare wie eine putzsüchtige Bürste auf dem Kopf, da spiegelt sich in jedem meiner blauen Augen der Wille zu einer Macht, die ohne Gefolgschaft auskommen sollte. Da gelang mir damals eine Position, die aufzugeben ich keine Veranlassung hatte. Da sagte, da entschloß ich mich, da beschloß ich, auf keinen Fall Politiker und schon gar nicht Kolonialwarenhändler zu werden, vielmehr einen Punkt zu machen, so zu verbleiben — und ich blieb so, hielt mich in dieser Größe, in dieser Ausstattung viele Jahre lang.
    Kleine und große Leut', kleiner und großer Belt, kleines und großes

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