Die Blechtrommel
zum Bürohochhaus. Wie am Hauptbahnhof warteten auch vor dem Hochhaus die lästigen Autogrammjäger — Pensionäre und Großmütter, die besser ihren Enkelkindern aufgepaßt hätten. Ich ließ mich sofort beim Chef anmelden, fand auch geöffnete Flügeltüren, den Teppich in Richtung Stahlmöbel; doch hinter dem Tisch saß nicht der Meister, kein Rollstuhl erwartete mich, sondern das Lächeln des Dr. Dösch.
Bebra war tot. Seit Wochen schon gab es keinen Meister Bebra mehr. Auf Bebras Wunsch hin hatte man mich nicht über seinen schlimmen Zustand unterrichtet. Nichts, auch sein Tod nicht, durfte meine Tournee unterbrechen. Bei der bald darauf folgenden Testamenteröffnung erbte ich ein rundes Vermögen und das Brustbild der Roswitha, erlitt jedoch empfindliche finanzielle Verluste, weil ich zwei schon vertraglich festgelegte Tourneen nach Süddeutschland und in die Schweiz kurzfristig absagte und wegen Vertragsbruch belangt wurde.
Abgesehen von den paar tausend Mark traf mich Bebras Tod schwer und auf längere Zeit. Meine Blechtrommel schloß ich ein und war kaum noch aus dem Zimmer zu bekommen. Dazu kam, daß mein Freund Klepp in jenen Wochen heiratete, ein rothaariges Zigarettenmädchen zu seiner Gattin machte, weil er ihm einmal ein Foto von sich geschenkt hatte. Kurz vor der Hochzeit, zu der ich nicht geladen wurde, kündigte er sein Zimmer, verzog nach Stockum, und Oskar blieb Zeidlers einziger Untermieter.
Mein Verhältnis zu dem Igel hatte sich etwas geändert. Nachdem fast jede Zeitung meinen Namen in Schlagzeilen nachdruckte, behandelte er mich mit Hochachtung, gab mir auch, gegen ein entsprechendes Stückchen Geld, den Schlüssel zur leeren Kammer der Schwester Dorothea; später mietete ich das Zimmer, damit er es nicht vermieten konnte.
Meine Trauer hatte also ihren Weg. Beide Zimmertüren öffnete ich, wanderte von der Badewanne meines Raumes über den Kokosläufer des Korridors in die Kammer der Dorothea, starrte dort in den leeren Kleiderschrank, ließ mich von dem Spiegel über der Kommode verhöhnen, verzweifelte vor dem schweren unbezogenen Bett, rettete mich in den Korridor, floh vor der Kokosfaser in mein Zimmer und hielt es auch dort nicht aus.
Womöglich mit einsamen Menschen als Kunden rechnend, hatte ein geschäftstüchtiger Ostpreuße, der in Rasuren ein Gut verloren hatte, in der Nähe der Jülicher Straße ein Geschäft eröffnet, das schlicht und bezeichnend »Hundeleihanstalt« hieß.
Dort lieh ich mir Lux, einen kräftigen, etwas zu fetten, schwarzglänzenden Rottweiler. Mit ihm ging ich spazieren, damit ich nicht in Zeidlers Wohnung zwischen meiner Badewanne und dem leeren Kleiderschrank der Schwester Dorothea hin und her hetzen mußte.
Der Hund Lux führte mich oft an den Rhein. Dort bellte er die Schiffe an. Der Hund Lux führte mich oft nach Rath, in den Grafenberger Wald. Dort bellte er die Liebespaare an. Ende Juli einundfünfzig führte mich der Hund Lux nach Gerresheim, einem Vorort der Stadt Düsseldorf, der seine ländlich dörfliche Herkunft nur notdürftig, mit Hilfe einiger Industrie, einer größeren Glashütte verleugnete.
Gleich hinter Gerresheim gab es Schrebergärten, und zwischen, neben, hinter den Schrebergärten zäunte sich Weideland ein, wogten Kornfelder, ich glaube, Roggenfelder.
Sagte ich schon, daß es ein heißer Tag war, an dem mich der Hund Lux nach Gerresheim und aus Gerresheim hinaus zwischen Kornfelder und Schrebergärten führte? Erst als wir die letzten Häuser des Vorortes hinter uns hatten, ließ ich Lux von der Leine. Er blieb dennoch bei Fuß, war ein treuer Hund, ein besonders treuer Hund, da er ja als Hund einer Hundeleihanstalt vielen Herren treu sein mußte;Mit anderen Worten, der Rottweiler Lux gehorchte mir, war alles andere als ein Dackel. Ich fand diesen Hundegehorsam übertrieben, hätte ihn lieber springen sehen, trat ihn auch, damit er sprang; er aber streunte mit schlechtem Gewissen, bog immer wieder den glatt-schwarzen Hals und hielt mir die sprichwörtlich treuen Hundeaugen hin.
»Hau ab, Lux!« forderte ich. »Hau ab!«
Lux gehorchte mehrmals, doch so kurzfristig, daß es mir angenehm auffallen mußte, als er längere Zeit weg blieb, im Korn verschwand, das hier als Roggen windgerecht wogte, ach was, windgerecht — windstill war es und gewitterig.
Lux wird einem Kaninchen hinterher sein, dachte ich. Vielleicht hat er aber auch nur das Bedürfnis, alleine zu sein, Hund sein zu dürfen, wie Oskar ohne den Hund einige Zeit
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