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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Pole und den Stephan nicht besonders schätzend, erklärte sich mit ihm solidarisch. Und dann kam Ostern, und man versuchte es einfach. Dr. Hollatz befand hinter seiner mit breitem Horn eingefaßten Brille, es könne nicht schaden, ließ den Befund auch laut werden: »Es kann dem kleinen Oskar nicht schaden.«
    Jan Bronski, der seinen Stephan gleichfalls nach Ostern in die polnische Volksschule schicken wollte, ließ sich davon nicht abraten, wiederholte meiner Mama und Matzerath immer wieder: Er sei Beamter in polnischen Diensten. Für korrekte Arbeit auf der polnischen Post bezahle der polnische Staat ihn korrekt. Schließlich sei er Pole und Hedwig werde es auch, sobald der Antrag genehmigt. Zudem lerne ein aufgewecktes und überdurchschnittlich begabtes Kind wie Stephan die deutsche Sprache im Elternhaus, und was den kleinen Oskar betreffe — immer wenn er Oskar sagte, seufzte er ein bißchen — Oskar sei genau wie der Stephan sechs Jahre alt, könne zwar noch nicht recht sprechen, sei überhaupt reichlich zurück für sein Alter,und was das Wachstum angehe, versuchen solle man es trotzdem, Schulpflicht sei Schulpflicht — vorausgesetzt, daß die Schulbehörde sich nicht dagegenstelle.
    Die Schulbehörde äußerte Bedenken und verlangte ein ärztliches Attest. Hollatz nannte mich einen gesunden Jungen, der dem Wachstum nach einem Dreijährigen gleiche, geistig jedoch, wenn er auch noch nicht recht spreche, einem Fünf-bis Sechsjährigen in nichts nachstehe. Auch sprach er von meinen Schilddrüsen.
    Ich verhielt mich bei all den Untersuchungen, während der mir zur Gewohnheit gewordenen Testerei ruhig, gleichgültig bis wohlwollend, zumal mir niemand meine Trommel nehmen wollte. Die Zerstörung der Hollatzschen Schlangen-, Kröten-und Embryonensammlung war allen, die mich da untersuchten und testeten, noch gegenwärtig und fürchtenswert.
    Nur zu Hause, und zwar am ersten Schultag, sah ich mich gezwungen, den Diamanten in meiner Stimme Wirkung zeigen zu lassen, da Matzerath, gegen bessere Einsicht handelnd, von mir verlangte, daß ich den Weg zur Pestalozzischule gegenüber der Fröbelwiese ohne meine Trommel zurücklege und sie, meine Blechtrommel, auch nicht in die Pestalozzischule hineinnehme.
    Als er schließlich handgreiflich wurde, nehmen wollte, was ihm nicht gehörte, womit er gar nicht umgehen konnte, wofür ihm der Nerv fehlte, schrie ich eine leere Vase entzwei, der man Echtheit nachsagte. Nachdem die echte Vase in Gestalt von echten Scherben auf dem Teppich lag, wollte mich Matzerath, der sehr an der Vase hing, mit der Hand schlagen. Doch da sprang Mama auf, und Jan, der mit Stephan und Schultüte noch schnell und wie zufällig bei uns vorbeischaute, trat dazwischen.
    »Ich bitte dich, Alfred«,-sagte er in seiner ruhig salbungsvollen Art, und Matzerath ließ, von Jans blauem und Mamas grauem Blick getroffen, die Hand sinken und steckte sie in die Hosentasche.
    Die Pestalozzischule war ein neuer, ziegelroter, mit Sgraffitos und Fresken modern geschmückter, dreistöckiger, länglicher, oben flacher Kasten, der auf lautes Drängen der damals noch recht aktiven Sozialdemokraten hin vom Senat der kinderreichen Vorstadt gebaut wurde. Mir gefiel der Kasten, bis auf seinen Geruch und die sporttreibenden Jugendstilknaben auf den Sgraffitos und Fresken, nicht schlecht.
    Unnatürlich winzige und obendrein grün werdende Bäumchen standen zwischen schützenden, dem Krummstab ähnlichen Eisenstäben im Kies vorm Portal. Aus allen Richtungen drangen Mütter vor, die bunte spitze Tüten hielten und schreiende oder musterhafte Knaben nach sich zogen. Noch nie hatte Oskar so viele Mütter in eine Richtung streben sehen. Es mutete an, als pilgerten sie einem Markt zu, auf dem ihre Erstund Zweitgeburten feilgeboten werden sollten.
    Schon in der Vorhalle dieser Schulgeruch, der, oft genug beschrieben, jedes bekannte Parfüm dieser Welt an Intimität übertrifft. Auf den Fliesen der Halle standen zwanglos angeordnet vier oder fünf granitene Becken, aus deren Vertiefungen Wasser aus mehreren Quellen gleichzeitig hochsprudelte. Von Knaben, auch solchen in meinem Alter umdrängt, erinnerten sie mich an die Sau meines Onkels Vinzent in Bissau, die sich manchmal auf die Seite warf und einen ähnlich durstig brutalen Andrang ihrer Ferkel erduldete.
    Die Knaben beugten sich über die Becken und senkrechten, ständig in sich zusammenfallenden Wassertürmchen, ließen die Haare vornüberfallen und sich von den Fontänen in

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