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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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machen lassen bei Fotomaton, dann Bier, Blutwurst, KPD-Werbung und Behaglichkeit.
    Ich lobte Klepps säuberlich hingemaltes Maßwerk, bat ihn um eine Abschrift, wollte wissen, wie er gelegentliche tote Punkte überwinde. »Schlafen oder an KPD denken«, gab mir Klepp nach kürzestem Sinnen zur Antwort.
    Ob ich ihm erzählte, wie Oskar Bekanntschaft mit seinem ersten Stundenplan machte?
    Es begann harmlos mit Tante Kauers Kindergarten. Hedwig Bronski holte mich jeden Morgen ab, brachte mich mit ihrem Stephan zur Tante Kauer in den Posadowskiweg, wo wir mit sechs bis zehn Gören — einige waren immer krank — bis zum Erbrechen spielen mußten. Zum Glück galt meine Trommel als Spielzeug, und es wurden mir keine Bauklötze aufgezwungen und Schaukelpferde nur dann untergeschoben, wenn man einen trommelnden Reiter mit Papierhelm brauchte. Als Trommelvorlage diente mir Tante Kauers schwarzseidenes, tausendmal geknöpftes Kleid. Getrost kann ich sagen, es gelang mir auf meinem Blech, das dünne, nur aus Fältchen bestehende Fräulein mehrmals am Tage an-und auszuziehen, indem ich sie trommelnd auf-und zuknöpfte, ohne eigentlich ihren Körper zu meinen.
    Die Spaziergänge am Nachmittag durch Kastanienalleen zum Jeschkentaler Wald, den Erbsberg hoch, am Gutenbergdenkmal vorbei, waren so angenehm langweilig und unbeschwert albern, daß ich mir heute noch Bilderbuchspaziergänge an Tante Kauers Papierhand wünsche.
    Ob wir acht oder zwölf Gören waren, wir mußten ins Geschirr. Dieses Geschirr bestand aus einer hellblauen, gestrickten, eine Deichsel meinenden Leine. Sechsmal ergab sich links und rechts dieser Wolldeichsel wollenes Zaumzeug für insgesamt zwölf Gören. Alle zehn Zentimeter hing eine Schelle.
    Vor Tante Kauer, die die Zügel führte, trotteten wir klingelingeling machend, plappernd, ich zähflüssig trommelnd, durch herbstliche Vorortstraßen. Dann und wann stimmte Kauer »Jesus dir leb' ich, Jesus dir sterb' ich« an oder auch, »Meerstern ich dich grüße«, was die Straßenpassanten rührte, wenn wir »Oh Maria hilf« und »Gottesmutter, suhühühüße« der klaren Oktoberluft anvertrauten.
    Sobald wir die Hauptstraße überquerten, mußte der Verkehr aufgehalten werden. Straßenbahnen, Autos, Pferdefuhrwerke stauten sich, wenn wir den Meerstern über den Fahrdamm hinübersangen.
    Jedesmal bedankte sich dann Tante Kauer mit knisternder Hand bei dem uns das Geleit gebenden Verkehrspolizisten.
    »Unser Herr Jesus wird Ihnen den Lohn geben«, versprach sie und raschelte mit dem Seidenkleid.
    Eigentlich, habe ich es bedauert, als Oskar im Frühjahr, nach seinem sechsten Geburtstag, Stephans wegen und mit ihm zusammen das auf-und zuknöpfbare Fräulein Kauer verlassen mußte. Wie immer, wenn Politik im Spiele ist, kam es zu Gewalttätigkeiten. Wir waren auf dem Erbsberg, Tante Kauer nahm uns das Wollgeschirr ab, das Jungholz glänzte, in den Zweigen begann es sich zu mausern.
    Tante Kauer saß auf einem Wegstein, der unter wucherndem Moos verschiedene Richtungen für einbis zweistündige Spaziergänge angab. Gleich einem Mädchen, das nicht weiß, wie ihm im Frühling ist, trällerte sie mit ruckhaften Kopfbewegungen, die man sonst nur noch bei Perlhühnern beobachten kann, und strickte uns ein neues Geschirr, verteufelt rot sollte es werden, leider durfte ich es nie tragen: denn da gab es Geschrei im Gebüsch, Fräulein Kauer flatterte auf, stöckelte mit Gestricktem, roten Wollfaden nach sich ziehend, dem Geschrei und Gebüsch zu. Ich folgte ihr und dem Faden, sollte sogleich noch mehr Rot sehen: Stephans Nase blutete heftig und einer, der Lothar hieß, gelockt war und blaue Äderchen an den Schläfen zeigte, hockte dem windigen und so wehleidigen Kerlchen auf der Brust und tat, als wollte er dem Stephan die Nase nach innen schlagen.
    »Pollack«, zischte er zwischen Schlag und Schlag. »Pollack!« Als Tante Kauer uns fünf Minuten später wieder im hellblauen Geschirr hatte — nur ich lief frei und wickelte den roten Faden auf —, sprach sie uns allen ein Gebet vor, das man normalerweise zwischen Opfer und Wandlung hersagt:
    »Beschämt, voll Reue und Schmerz ...«
    Dann den Erbsberg hinunter und vor dem Gutenbergdenkmal Halt. Auf Stephan, der sich wimmernd ein Taschentuch gegen die Nase drückte, mit langem Finger weisend, gab sie mild zu verstehen: »Er kann doch nicht dafür, daß er ein kleiner Pole ist.«
    Stephan durfte auf Anraten Tante Kauers nicht mehr in ihren Kindergarten. Oskar, obgleich kein

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