Die Blechtrommel
los. Es wurde der Fliegende Holländer gegeben. Ein Schiff schob sich mehr waldfrevelnd als seeräubernd aus jenem Wald, welcher der Waldoper den Namen gegeben hatte. Matrosen sangen die Bäume an. Ich schlief ein auf Tuscheis Polster, und als ich erwachte, sangen noch immer Matrosen oder schon wieder Matrosen: Steuermann halt die Wacht...
aber Oskar entschlief abermals, freute sich im Entschlummern, daß seine Mama solchen Anteil an dem Holländer nahm, wie auf Wogen glitt und wagnerisch ein-und ausatmete. Sie merkte nicht, daß Matzerath und ihr Jan hinter vorgehaltenen Händen verschieden starke Bäume ansägten, daß auch ich immer wieder dem Wagner aus den Fingern rutschte, bis Oskar endgültig erwachte, weil mitten im Wald ganz einsam eine schreiende Frau stand. Gelbhaarig war die und schrie, weil ein Beleuchter, wahrscheinlich der jüngere Formella, sie mit einem Scheinwerfer blendete und belästigte. »Nein!« schrie sie, »Weh mir!« und: »Wer tut mir das an?« Aber der Formella, der ihr das antat, stellte den Scheinwerfer nicht ab, und das Geschrei der einsamen Frau, die Mama hinterher als Solistin betitelte, ging in ein dann und wann silbern aufschäumendes Gewimmer über, das zwar die Blätter an den Bäumen des Zoppoter Waldes vorzeitig welken ließ, aber Formellas Scheinwerfer nicht traf und erledigte. Ihre Stimme, obgleich begabt, versagte. Oskar mußte einspringen, die unerzogene Lichtquelle ausfindig machen und mit einem einzigen, fernwirkenden Schrei, die leise Dringlichkeit der Mücken noch unterbietend, jenen Scheinwerfer töten.
Daß es Kurzschluß, Finsternis, springende Funken und einen Waldbrand gab, der zwar eingedämmt werden konnte, dennoch Panik hervorrief, war nicht von mir beabsichtigt, verlor ich doch im Gedränge nicht nur Mama und die beiden unsanft geweckten Herren; auch meine Trommel ging in dem Durcheinander verloren.
Diese, meine dritte Begegnung mit dem Theater brachte Mama, die nach dem Waldopernabend Wagner, leicht gesetzt, in unserem Klavier beheimatete, auf den Gedanken, mich im Frühjahr vierunddreißig mit der Zirkusluft bekanntzumachen.
Oskar will hier nicht von silbernen Damen am Trapez, von den Tigern des Zirkus Busch, von geschickten Seehunden plaudern. Es stürzte niemand aus der Zirkuskuppel. Keinem Dompteur wurde etwas abgebissen. Auch taten die Seehunde, was sie gelernt hatten: jonglierten Bälle und bekamen lebendige Heringe als Belohnung zugeworfen. Ich verdanke dem Zirkus vergnügliche Kindervorstellungen und jene für mich so wichtige Bekanntschaft mit Bebra, dem Musikalclown, der »Jimmy the Tiger« auf Flaschen spielte und eine Liliputanergruppe leitete.
Wir begegneten einander in der Menagerie. Mama und ihre beiden Herren ließen sich vor dem Affenkäfig beleidigen. Hedwig Bronski, die ausnahmsweise mit von der Partie war, zeigte ihren Kindern die Ponys. Nachdem mich ein Löwe angegähnt hatte, ließ ich mich leichtsinnigerweise mit einer Eule ein. Ich versuchte den Vogel zu fixieren, doch der fixierte mich: und Oskar schlich betroffen, mit heißen Ohren, im Zentrum verletzt davon, verkrümelte sich zwischen den blauweißen Wohnwagen, weil es dort außer einigen angebundenen Zwergziegen keine Tiere gab.
Er ging in Hosenträgern und Pantoffeln an mir vorbei und trug einen Wassereimer. Flüchtig nur kreuzten sich die Blicke. Dennoch erkannten wir uns sofort. Er stellte den Eimer ab, legte den großen Kopf schief, kam auf mich zu, und ich taxierte, daß er etwa neun Zentimeter größer war als ich.
»Schau, schau!« knarrte es neidisch zu mir herunter. »Heutzutage wollen die Dreijährigen schon nicht mehr wachsen.« Da ich nicht antwortete, kam er mir nochmals: »Bebra, mein Name, stamme in direkter Linie vom Prinzen Eugen ab, dessen Vater der vierzehnte Ludwig war und nicht irgendein Savoyarde, wie man behauptet.« Da ich immer noch schwieg, nahm er neuen Anlauf: »Unterbrach an meinem zehnten Geburtstag das Wachstum. Etwas spät, aber immerhin!«
Da er so offen sprach, stellte ich mich meinerseits vor, flunkerte aber keinen Stammbaum zusammen, nannte mich schlicht Oskar. »Sagen Sie, bester Oskar, Sie dürfen jetzt vierzehn, fünfzehn oder gar schon sechzehn Jährchen zählen. Nicht möglich, was Sie sagen, erst neuneinhalb?«
Jetzt sollte ich ihn schätzen und tippte vorsätzlich zu niedrig.
»Sie sind ein Schmeichler, junger Freund. Fünfunddreißig, das war einmal. Im August feiere ich mein Dreiundfünfzigstes, ich könnte Ihr Großvater
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