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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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vors Geschlecht und legte mich später bäuchlings in den Seesand, wollte auch nicht ins einladende Ostseewasser, sondern meine Scham im Sand aufbewahren und Vogelstraußpolitik betreiben. Matzerath, auch Jan Bronski sahen mit ihren beginnenden Schmerbäuchen so lächerlich und beinahe bedauernswert armselig aus, daß ich froh war, als am späten Nachmittag die Badekabinen aufgesucht wurden, wo jeder seinen Sonnenbrand eincremte und nivea-gesalbt wieder in die sonntägliche Zivilkleidung schlüpfte.
    Kaffee und Kuchen im Seestern. Mama wollte ein drittes Stückchen von der fünfstöckigen Torte.
    Matzerath war dagegen, Jan dafür und dagegen zugleich, Mama bestellte, gab Matzerath einen Happen ab, fütterte Jan, stellte ihre beiden Männer zufrieden, bevor sie sich den übersüßen Keil Löffelchen für Löffelchen in den Magen rammte.
    Oh, heilige Buttercreme, du mit Puderzucker bestäubter, heiter bis wolkiger Sonntagnachmittag!
    Polnische Adlige saßen hinter blauen Sonnenbrillen und intensiven Limonaden, die sie nicht berührten. Mit violetten Fingernägeln spielten die Damen und ließen uns den Mottenpulvergeruch ihrer Pelzcapes, die sie jeweils für die Saison ausliehen, mit dem Seewind zukommen. Matzerath fand das affig. Mama hätte sich gerne gleichfalls und wenn nur für einen Nachmittag solch ein Pelzcape ausgeliehen. Jan behauptete, die Langeweile des polnischen Adels stehe momentan so in Blüte, daß man trotz wachsender Schulden nicht mehr Französisch spreche, sondern aus lauter Snobismus gewöhnlichstes Polnisch.
    Man konnte nicht im Seestern sitzen bleiben und unentwegt polnischen Adligen auf blaue Sonnenbrillen und violette Fingernägel schauen. Meine mit Torte gefüllte Mama verlangte nach Bewegung, Es nahm uns der Kurpark auf, ich mußte auf einem Esel reiten und abermals für ein Foto stillhalten. Goldfische, Schwäne — was der Natur nicht alles einfällt — und abermals Goldfische und Schwäne, Süßwasser wertvoll machend.
    Zwischen frisiertem Taxus, der aber nicht flüsterte, wie man immer behauptet, trafen wir die Brüder Formella, die Kasinobeleuchter Formella, die Beleuchter der Waldoper, Formella. Der jüngere Formelle mußte erst immer alle Witze loswerden, die ihm bei seinem Beruf als Beleuchter zu Ohren kamen. Der ältere Bruder Formella kannte die Witze und lachte dennoch aus brüderlicher Liebe ansteckend an den richtigen Stellen und zeigte dabei einen Goldzahn mehr als sein jüngerer Bruder, der nur drei hatte. Man ging bei Springer ein Machandelchen trinken. Mama war mehr für Kurfürsten.
    Dann, immer noch Witze vom Vorrat verschenkend, lud der spendable jüngere Formella zum Abendessen im »Papagei« ein. Dort traf man Tuschel, und Tuschel gehörte halb Zoppot, dazu ein Stück Waldoper und fünf Kinos. Auch war er der Chef der Formellabrüder und freute sich, wie wir uns freuten, uns kennengelernt, ihn kennengelernt zu haben. Tuschel drehte unermüdlich einen Ring an seinem Finger, der aber dennoch kein Wunschring oder Zauberring sein konnte, denn es passierte rein gar nichts, außer daß Tuschel seinerseits anfing, Witze zu erzählen, und zwar dieselben Formellawitze von vorher, nur umständlicher, weil über weniger Goldzähne verfügend. Dennoch lachte der ganze Tisch, weil Tuschel die Witze erzählte. Nur ich hielt mich ernst und versuchte mit starrer Miene Pointen zu töten. Ach, wie die Lachsalven, wenn auch nicht echt, doch ähnlich den Butzenscheiben an der Fensterfront unserer Freßecke, Gemütlichkeit verbreiteten. Der Tuschel zeigte sich dankbar, erzählte immer noch einen Witz, ließ Goldwasser kommen, drehte glücklich, in Gelächter und Goldwasser schwimmend, plötzlich den Ring anders herum, und es passierte wirklich etwas. Tuschel lud uns alle in die Waldoper ein, da ihm ja ein Stückchen der Waldoper gehöre, er könne leider nicht, Verabredung und so, aber wir möchten doch mit seinen Plätzen vorlieb nehmen, wäre Loge, gepolstert, Kindchen könnte schlafen, wenn müde; und er schrieb mit silbernem Drehbleistift Tuschelworte auf Tuscheis Visitenkärtchen, das würde Tür und Tor öffnen, sagte er — und so war es dann auch.
    Was sich ereignete, wird mit wenigen Worten zu sagen sein: Ein lauer Sommerabend, die Waldoper voll und ganz ausländisch. Schon bevor es losging, waren die Mücken da. Aber erst als die letzte Mücke, die immer ein wenig zu spät kommt, das vornehm findet, ihre Ankunft blutrünstig sirrend verkündete, ging es wirklich und gleichzeitig

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