Die Blechtrommel
der Parteimütze, die er gerne, auch bei sonnigem Wetter mit unterm Kinn scheuerndem Sturmriemen trug. Eine Zeitlang zog er weiße Oberhemden mit schwarzer Krawatte zu dieser Mütze an oder eine Windjacke mit Armbinde. Als er das erste braune Hemd kaufte, wollte er eine Woche später auch die kackbraunen Reithosen und Stiefel erstehen. Mama war dagegen, und es dauerte abermals Wochen, bis Matzerath endgültig in Kluft war.
Es ergab sich mehrmals in der Woche Gelegenheit, diese Uniform zu tragen, aber Matzerath ließ es mit der Teilnahme an sonntäglichen Kundgebungen auf der Maiwiese neben der Sporthalle genug sein. Hier erwies er sich jedoch selbst dem schlechtesten Wetter gegenüber unerbittlich, lehnte auch ab, einen Regenschirm zur Uniform zu tragen, und wir hörten oft genug eine Redewendung, die bald zur stehenden Redensart wurde. »Dienst ist Dienst«, sagte Matzerath, »und Schnaps ist Schnaps!« verließ, nachdem er den Mittagsbraten vorbereitet hatte, jeden Sonntagmorgen Mama und brachte mich in eine peinliche Situation, weil Jan Bronski, der ja den Sinn für die neue sonntägliche politische Lage besaß, auf seine zivil eindeutige Art meine verlassene Mama besuchte, während Matzerath in Reih und Glied stand.
Was hätte ich anderes tun können, als mich verdrücken. Es lag weder in meiner Absicht, die beiden auf der Chaiselongue zu stören,noch zu beobachten. So trommelte ich mich, sobald mein uniformierter Vater außer Sicht war und die Ankunft des Zivilisten, den ich damals schon meinen mutmaßlichen Vater nannte, bevorstand, aus dem Haus in Richtung Maiwiese.
Sie werden sagen, mußte es unbedingt die Maiwiese sein? Glauben Sie mir bitte, daß an Sonntagen im Hafen nichts los war, daß ich mich zu Waldspaziergängen nicht entschließen konnte, daß mir das Innere der Herz-Jesu-Kirche damals noch nichts sagte. Zwar gab es noch die Pfadfinder des Herrn Greff, aber jener verklemmten Erotik zog ich, es sei hier zugegeben, den Rummel auf der Maiwiese vor; auch wenn Sie mich jetzt einen Mitläufer heißen.
Es sprachen entweder Greiser oder der Gauschulungsleiter Löbsack. Der Greiser fiel mir nie besonders auf. Er war zu gemäßigt und wurde später durch den forscheren Mann aus Bayern, der Forster hieß und Gauleiter wurde, ersetzt. Der Löbsack jedoch wäre der Mann gewesen, einen Forster zu ersetzen.
Ja hätte der Löbsack nicht einen Buckel gehabt, wäre es für den Mann aus Fürth schwer gewesen, in der Hafenstadt ein Bein aufs Pflaster zu bekommen. Den Löbsack richtig einschätzend, in seinem Buckel ein Zeichen hoher Intelligenz sehend, machte ihn die Partei zum Gauschulungsleiter. Der Mann verstand sein Handwerk. Während der Forster mit übler bayrischer Aussprache immer wieder »Heim ins Reich« schrie, ging Löbsack mehr ins Detail, sprach alle Sorten Danziger Platt, erzählte Witze von Bollermann und Wullsutzki, verstand es, die Hafenarbeiter bei Schichau, das Volk in Ohra, die Bürger von Emmaus, Schidlitz, Bürgerwiesen und Praust anzusprechen. Hatte er es mit bierernsten Kommunisten und den lahmen Zwischenrufen einiger Sozis zu tun, war es eine Wonne, dem kleinen Mann, dessen Buckel durch das Uniformbraun besonders betont und gehoben wurde, zuzuhören.
Löbsack hatte Witz, zog all seinen Witz aus dem Buckel, nannte seinen Buckel beim Namen, denn so etwas gefällt den Leuten immer. Eher werde er seinen Buckel verlieren, behauptete Löbsack, als daß die Kommune hochkomme. Es war vorauszusehen, daß er den Buckel nicht verlor, daß an dem Buckel nicht zu rütteln war, folglich behielt der Buckel recht, mit ihm die Partei — woraus man schließen kann, daß ein Buckel die ideale Grundlage einer Idee bildet.
Wenn Greiser, Löbsack oder später Forster sprachen, sprachen sie von der Tribüne aus. Es handelte sich um jene Tribüne, die mir der kleine Herr Bebra angepriesen hatte. Deshalb hielt ich längere Zeit den Tribünenredner Löbsack, bucklig und begabt, wie ersieh auf der Tribüne zeigte, für einen Abgesandten Bebras, der in brauner Verkleidung seine und im Grunde auch meine Sache auf der Tribüne verfocht.
Was ist das, eine Tribüne? Ganz gleich für wen und vor wem eine Tribüne errichtet wird, in jedem Falle muß sie symmetrisch sein. So war auch die Tribüne auf unserer Maiwiese neben der Sporthalle eine betont symmetrisch angeordnete Tribüne. Von oben nach unten: sechs Hakenkreuzbanner nebeneinander. Dann Fahnen, Wimpel und Standarten. Dann eine Reihe schwarze SS mit Sturmriemen
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