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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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kommen wollte, erblickte mich Markus in der Ladentür und wies, Mamas eine Hand freilassend, mit fünf sprechenden Fingern auf mich: »No bittschen, den werden wä auch mitnehmen nach London. Wie Prinzchen soll er es haben, wie Prinzchen!«
    Nun blickte mich auch Mama an und kam zu einigem Lachern. Vielleicht dachte sie an die scheibenlosen Foyerfenster des Stadttheaters,oder die in Aussicht gestellte Metropole London stimmte sie heiter. Zu meiner Überraschung schüttelte sie dennoch den Kopf und sagte leichthin, als würde sie einen Tanz ausschlagen: »Ich danke Ihnen, Markus, aber es geht nicht, wirklich nicht — wegen Bronski.«
    Des Onkels Namen wie ein Stichwort wertend, erhob sich Markus sogleich, klappmesserte eine Verbeugung und ließ hören: »Verzeihn Se dem Markus, hattä sich doch gleich gedacht, daß es wegen dem nich mecht sein.«
    Als wir den Laden in der Zeughauspassage verließen, schloß der Händler, obgleich noch nicht Geschäftsschluß war, von außen ab und begleitete uns zur Haltestelle der Linie Fünf. Vor der Fassade des Stadttheaters standen noch immer Passanten und einige Polizisten. Ich fürchtete mich aber nicht und hatte meine Erfolge dem Glas gegenüber kaum noch gegenwärtig. Markus beugte sich zu mir, flüsterte mehr zu sich als zu uns: »Was er nich alles kann, der Oskar. De Trommel schlägt er und macht Skandal vorm Theater.«
    Mamas angesichts der Scherben aufkommende Unsicherheit beschwichtigte er mit Handbewegungen, und als die Bahn kam und wir in den Anhänger einstiegen, beschwor er noch einmal leise, eventuelle Zuhörer fürchtend: »No, denn bleiben Se gefälligst bei dem Matzerath, den Se haben und setzen Se nich merr auf Polen.« — Wenn Oskar heute in seinem Metallbett liegend oder sitzend, in jeder Lage aber trommelnd, die Zeughauspassage, die Kritzeleien auf den Kerkerwänden des Stockturmes, den Stockturm selber und seine geölten Folterinstumente, die drei Foyerfenster des Stadttheaters hinter den Säulen und wieder die Zeughauspassage und den Laden des Sigismund Markus aufsucht, um Einzelheiten eines Septembertages nachzeichnen zu können, muß er auch gleichzeitig das Land der Polen suchen. Sucht es womit? Er sucht es mit seinen Trommelstöcken. Sucht er das Land der Polen auch mit seiner Seele?
    Mit allen Organen sucht er, aber die Seele ist kein Organ.
    Und ich suche das Land der Polen, das verloren ist, das noch nicht verloren ist. Andere sagen: bald verloren, schon verloren, wieder verloren. Hierzulande sucht man das Land der Polen neuerdings mit Krediten, mit der Leica, mit dem Kompaß, mit Radar, Wünschelruten und Delegierten, mit Humanismus, Oppositionsführern und Trachten einmottenden Landsmannschaften. Während man hierzulande das Land der Polen mit der Seele sucht — halb mit Chopin, halb mit Revanche im Herzen — während sie hier die erste bis zur vierten Teilung verwerfen und die fünfte Teilung Polens schon planen, während sie mit Air France nach Warschau fliegen, und an jener Stelle bedauernd ein Kränzchen hinterlegen, wo einst das Getto stand, während man von hier aus das Land der Polen mit Raketen suchen wird, suche ich Polen auf meiner Trommel und trommle: Verloren, noch nicht verloren, schon wieder verloren, an wen verloren, bald verloren, bereits verloren, Polen verloren, alles verloren, noch ist Polen nicht verloren.
    DIE TRIBÜNE
    Indem ich die Foyerfenster unseres Stadttheaters zersang, suchte und fand ich zum erstenmal Kontakt mit der Bühnenkunst. Mama muß trotz starker Beanspruchung durch den Spielzeughändler Markus an jenem Nachmittag mein direktes Verhältnis zum Theater bemerkt haben, denn während der folgenden Weihnachtszeit kaufte sie vier Theaterkarten, für sich, für Stephan und Marga Bronski, auch für Oskar, und nahm uns drei am letzten Adventssonntag zum Weihnachtsmärchen mit. Zweiter Rang Seite, erste Reihe saßen wir. Der Protzlüster, über dem Parkett hängend, tat, was er konnte. So war ich froh, daß ich ihn vom Stockturm herab nicht zersungen hatte.
    Es gab damals schon viel zu viel Kinder. Mehr Kinder als Mütter gab es auf den Rängen, während sich das Verhältnis von Kind zu Mutter im Parkett, wo die Begüterten und im Zeugen Vorsichtigeren saßen, ungefähr die Waage hielt. Daß Kinder nicht ruhig sitzen können! Marga Bronski, die zwischen mir und dem verhältnismäßig sittsamen Stephan saß, rutschte vom Klappolster, wollte wieder hinauf, fand es sogleich schöner, vor der Rangbrüstung zu-turnen,

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