Die Blechtrommel
sein!«Oskar sagte ihm einige nette Dinge über seine akrobatischen Leistungen als Clown, nannte ihn hochmusikalisch und führte, leicht vom Ehrgeiz gepackt, ein Kunststückchen vor. Drei Glühbirnen der Zirkusplatzbeleuchtung mußten dran glauben, und Herr Bebra rief bravo, bravissimo und wollte Oskar sofort engagieren.
Manchmal tut es mir heute noch leid, daß ich ablehnte. Ich redete mich heraus und sagte: »Wissen Sie, Herr Bebra, ich rechne mich lieber zu den Zuschauern, laß meine kleine Kunst im verborgenen, abseits von allem Beifall blühen, bin jedoch der letzte, der Ihren Darbietungen keinen Applaus spendet.« Herr Bebra hob seinen zerknitterten Zeigefinger und ermahnte mich: »Bester Oskar, glauben Sie einem erfahrenen Kollegen. Unsereins darf nie zu den Zuschauern gehören. Unsereins muß auf die Bühne, in die Arena. Unsereins muß vorspielen und die Handlung bestimmen, sonst wird unsereins von jenen da behandelt. Und jene da spielen uns all zu gerne übel mit!«
Mir fast ins Ohr kriechend, flüsterte er und machte uralte Augen: »Sie kommen! Sie werden die Festplätze besetzen! Sie werden Fackelzüge veranstalten! Sie werden Tribünen bauen, Tribünen bevölkern und von Tribünen herunter unseren Untergang predigen. Geben Sie acht, junger Freund, was sich auf den Tribünen ereignen wird! Versuchen Sie, immer auf der Tribüne zu sitzen und niemals vor der Tribüne zu stehen!«
Dann griff Herr Bebra, da mein Name gerufen wurde, seinen Eimer. »Man sucht Sie, bester Freund.
Wir werden uns wiedersehen. Wir sind zu klein, als daß wir uns verlieren könnten. Zudem sagt Bebra immer wieder: Kleine Leute wie wir finden selbst auf überfülltesten Tribünen noch ein Plätzchen. Und wenn nicht auf der Tribüne, dann unter der Tribüne, aber niemals vor der Tribüne. Das sagt Bebra, der in direkter Linie vom Prinzen Eugen abstammt.«
Mama, die Oskar rufend hinter einem Wohnwagen hervortrat, sah gerade noch, wie mich Herr Bebra auf die Stirn küßte, dann seinen Wassereimer ergriff und mit den Schultern rudernd auf einen Wohnwagen zusteuerte.
»Stellt euch nur vor«, empörte sich Mama später Matzerath und den Bronskis gegenüber, »bei den Liliputanern war er. Und ein Gnom hat ihn auf die Stirn geküßt. Hoffentlich hat das nichts zu bedeuten!«
Bebras Stirnkuß sollte mir noch viel bedeuten. Die politischen Ereignisse der nächsten Jahre gaben ihm recht: die Zeit der Fackelzüge und Aufmärsche vor Tribünen begann.
Wie ich den Ratschlägen des Herrn Bebra Folge leistete, beherzigte Mama einen Teil der Ermahnungen, die ihr Sigismund Markus in der Zeughauspassage gegeben hatte und anläßlich der Donnerstagbesuche immer wieder hören ließ. Wenn sie auch nicht mit dem Markus nach London ging — ich hätte nicht viel gegen den Umzug einzuwenden gehabt —, blieb sie dennoch bei Matzerath und sah Jan Bronski maßvoll gelegentlich, das heißt, in der Tischlergasse auf Jans Kosten und beim Familienskat, der Jan immer teurer wurde, weil er ständig verlor. Matzerath aber, auf den Mama gesetzt hatte, auf dem sie, des Markus Rat befolgend, ihren Einsatz, ohne ihn zu verdoppeln, liegen ließ, trat im Jahre vierunddreißig, also verhältnismäßig früh die Kräfte der Ordnung erkennend, in die Partei ein und brachte es dennoch nur bis zum Zellenleiter. Anläßlich dieser Beförderung, die wie alles Außergewöhnliche Grund zum Familienskat bot, gab Matzerath erstmals seinen Ermahnungen, die er Jan Bronski wegen der Beamtentätigkeit auf der polnischen Post schon immer erteilt hatte, einen etwas strengeren, doch auch besorgteren Ton.
Sonst änderte sich nicht viel. Über dem Piano wurde das Bild des finsteren Beethoven, ein Geschenk Greffs, vom Nagel genommen und am selben Nagel der ähnlich finster blickende Hitler zur Ansicht gebracht. Matzerath, der für ernste Musik nichts übrig hatte, wollte den fast tauben Musiker ganz und gar verbannen. Mama jedoch, die die langsamen Sätze der Beethovensonaten sehr liebte, zwei oder drei noch langsamer als angegeben auf unserem Klavier eingeübt hatte und dann und wann dahintropfen ließ, bestand darauf, daß der Beethoven, wenn nicht über die Chaiselongue, dann übers Büfett käme. So kam es zu jener finstersten aller Konfrontationen: Hitler und das Genie hingen sich gegenüber, blickten sich an, durchschauten sich und konnten dennoch aneinander nicht froh werden.
Nach und nach kaufte sich Matzerath die Uniform zusammen. Wenn ich mich recht erinnere, begann er mit
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