Die Blechtrommel
braver Onkel, manch ältliches, im Religiösen frischbleibendes Fräulein hätte niemals in sich die Diebesnatur erkannt, wenn nicht deine Stimme zum Diebstahl verführt hätte, obendrein Bürger gewandelt hätte, die zuvor in jedem kleinen und ungeschickten Langfinger einen verdammenswerten und gefährlichen Halunken sahen.
Nachdem ich ihm Abend für Abend aufgelauert und er mir dreimal den Diebstahl verweigert hatte, ehe er Zugriff und zum nie von der Polizei entdeckten Dieb wurde, soll Dr. Erwin Scholtis, Staatsanwalt und am Oberlandesgericht gefürchteter Ankläger, ein milder, nachsichtiger und im Urteil beinahe menschlicher Jurist geworden sein, weil er mir, dem kleinen Halbgott der Diebe, opferte und einen Rasierpinsel, edit Dachshaar, raubte.
Im Januar siebenunddreißig stand ich lange und frierend einem Juweliergeschäft gegenüber, das trotz seiner ruhigen Lage in einer regelmäßig mit Ahornbäumen bepflanzten Vorortallee guten Ruf und Namen hatte. Es zeigte sich mancherlei Wild vor dem Schaufenster mit dem Schmuck und den Uhren, das ich vor anderen Auslagen, vor Damenstrümpfen, Velourshüten, Likörflaschen sofort und ohne Bedenken abgeschossen hätte.
Wie es der Schmuck mit sich bringt: man wird wählerisch, langsam, paßt sich dem Verlauf unendlicher Ketten an, mißt die Zeit mithin nicht mehr nach Minuten, sondern nach Perlenjahren, geht davon aus, daß die Perle den Hals überdauert, daß das Handgelenk, nicht der Armreif magert, daß Ringe in Gräbern gefunden wurden, denen der Finger nicht standhielt; kurz, man nennt den einen Schaufensterbetrachter zu protzig, den anderen zu kleinlich, um ihn mit Schmuck behängen zu können.
Das Schaufenster des Juweliers Bansemer war nicht überladen. Einige ausgesuchte Uhren, Schweizer Qualitätsarbeiten, ein Sortiment Eheringe auf hellblauem Sammet und in der Mitte der Auslagen vielleicht sechs oder, besser, sieben ausgesuchteste Stücke: eine dreimal gewundene, aus verschiedenfarbigem Gold gewirkte Schlange, deren fein ziselierten Kopf ein Topas, zwei Diamanten und als Augen zwei Saphire schmückten und wertvoll machten. Ich mag sonst keinen schwarzen Sammet, aber der Schlange des Juweliers Bansemer war dieser Untergrund angemessen, gleichfalls der graue Sammet, der unter betörend schlichtem, durch gleichmäßige Form auffallenden Silberschmiedearbeiten prickelnde Ruhe verbreitete. Ein Ring, der eine so zierliche Gemme hielt, daß man ihm ansah, er würde die Hände ähnlich zierlicher Frauen verbrauchen, selbst immer zierlicher werden und jenen Grad der Unsterblichkeit erlangen, der wohl nur dem Schmuck vorbehalten ist.
Kettchen, die man nicht ungestraft anlegte, Ketten, die müde machten, und schließlich auf weißgelblichem Sammetpolster, das die Form eines Halsansatzes vereinfacht nachbildete, ein Collier leichtester Art. Fein die Gliederung, die Einfassung verspielt, ein immer wieder durchbrochenes Gespinst. Welche Spinne mochte hier Gold ausgeschieden haben, damit ihr sechs kleine und ein größerer Rubin ins Netz gingen? Und wo saß sie, die Spinne, worauf wartend? Gewiß nicht auf weitere Rubinen, eher auf jemand, dem die ins Netz gegangenen Rubinen gleich geformtem Blut leuchteten und den Blick festnagelten — mit anderen Worten: Wem sollte ich in meinem Sinne oder im Sinne der goldwirkenden Spinne dieses Collier schenken?
Am achtzehnten Januar siebenunddreißig, auf knirschendem hartgetretenem Schnee, in einer Nacht, die nach mehr Schnee roch, nach soviel Schnee roch, wie sich jemand nur wünschen kann, der alles dem Schnee überlassen möchte, sah ich Jan Bronski rechts oberhalb meines Standortes die Straße überqueren, am Juwelierladen, ohne aufzublicken, vorbeigehen, dann zaudern oder eher wie auf Anruf still stehn; er drehte sich, oder drehte es ihn — und da stand Jan vor dem Schaufenster zwischen weißbeladenen, leisen Ahornbäumen.
Der zierliche, immer etwas wehleidige, im Beruf untertänige, in der Liebe ehrgeizige, der gleichviel dumme und schönheitsversessene Jan Bronski, Jan, der vom Fleisch meiner Mama lebte, der mich, wie ich heute noch glaube und bezweifle, in Matzeraths Namen zeugte, er stand in seinem eleganten, wie vom Warschauer Schneider angefertigten Wintermantel, wurde zum Denkmal seiner selbst, so versteinert, versinnbildlicht wollte er mir vor der Scheibe stehen, den Blick gleich Parzival, der im Schnee stand und Blut im Schnee sah, auf die Rubine des goldenen Colliers geheftet.
Ich hätte ihn zurückrufen
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