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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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können, zurücktrommeln können. Ich hatte ja meine Trommel bei mir. Unter dem Mantel spürte ich sie. Einen Knopf hätte ich nur lösen müssen, und sie hätte sich selbst in den Frost hinausgeschwungen. Ein Griff in die Manteltaschen, und ich hätte die Stöcke im Griff gehabt.
    Hubertus der Jäger schoß auch nicht, als er den ganz besonderen Hirsch schon im Schußfeld hatte. Aus Saulus wurde ein Paulus. Attila kehrte um, als Papst Leo den Finger mit dem Ring hob. Ich aber schoß, wandelte mich nicht, kehrte nicht um, blieb Jäger, Oskar, und wollte ans Ziel, knöpfte mich nicht auf, ließ die Trommel nicht in den Frost hinaus, kreuzte nicht meine Knüppel auf dem winterlich weißen Blech, ließ die Januarnacht nicht zu einer Trommlernacht werden, sondern schrie lautlos, schrie wie vielleicht ein Stern schreit, oder ein Fisch ganz zu unterst, schrie zuerst dem Frost ins Gefüge, daß endlich Neuschnee fallen konnte, schrie dann ins Glas, in das dichte Glas, in das teure Glas, in das billige Glas, in das durchsichtige Glas, in das trennende Glas, in das Glas zwischen Welten, ins jungfräuliche, mystische, ins Schaufensterglas zwischen Jan Bronski und dem Rubinencollier schrie ich eine Lücke für Jans mir bekannte Handschuhgröße, ließ das Glas aufklappen gleich einer Falltür, gleich Himmelstor und Höllenpforte: und Jan zuckte nicht, ließ seine feinlederne Hand aus der Manteltasche wachsen und in den Himmel eingehen und der Handschuh verließ die Hölle, entnahm dem Himmel oder der Hölle ein Collier, dessen Rubinen allen Engeln, auch den gefallenen, zu Gesicht stünden — und er ließ den Griff voller Rubinen und Gold in die Tasche zurückkehren, und stand immer noch vorm aufgeschlossenen Fenster, obgleich das gefährlich war, obgleich keine Rubinen mehr bluteten, um seinen oder des Parzival Blick die unverrückbare Richtung aufzuzwingen.
    Oh, Vater, Sohn und heiliger Geist! Es mußte im Geist etwas geschehen, wenn es um Jan, den Vater, nicht geschehen sein sollte. Es knöpfte sich Oskar, der Sohn, den Mantel auf, versorgte sich hastig mit Trommelstöcken und rief auf dem Blech: Vater, Vater! bis Jan Bronski sich drehte, langsam, viel zu langsam die Straße überquerte, mich, Oskar, im Hauseingang fand.
    Wie schön, daß es im Augenblick, da Jan mich immer noch ausdruckslos, aber kurz vorm Tauwetter anblickte, zu schneien begann. Eine Hand, aber nicht den Handschuh, der die Rubine berührt hatte, reichte er mir und führte mich schweigsam, doch nicht bedrückt nach Hause, wo Mama um mich bangte und Matzerath, wie es seine Art war, betont streng, doch kaum ernstgemeint mit der Polizei drohte. Jan gab keine Erklärung ab, blieb nicht lange, wollte auch keinen Skat, zu dem Matzerath, Bier auf den Tisch stellend, aufforderte. Als er ging, streichelte er Oskar, und jener wußte nicht, verlangte er Verschwiegenheit oder Freundschaft.
    Bald darauf schenkte Jan Bronski meiner Mama das Collier. Sie hat es nur für Stunden, während Matzerath abwesend war, sicherlich um die Herkunft des Schmuckes wissend, entweder für sich alleine oder für Jan Bronski, womöglich auch für mich, getragen.
    Kurz nach dem Krieg habe ich es auf dem Schwarzen Markt in Düsseldorf gegen zwölf Stangen amerikanische Lucky-Strike-Zigaretten und eine lederne Aktentasche eingetauscht.

KEIN WUNDER
    Heute, im Bett meiner Heil-und Pflegeanstalt, vermisse ich oftmals jene mir damals dringlich zur Verfügung stehende Kraft, die durch Frost und Nacht hindurch Eisblumen auftaute, Schaufenster aufschloß und den Dieb bei der Hand nahm.
    Wie gerne möchte ich, zum Beispiel, das verglaste Guckloch im oberen Drittel der Zimmertür entglasen, damit mich Bruno, mein Pfleger, direkter beobachten kann.
    Wie litt ich im Jahr vor meiner Einweisung in die Anstalt am Unvermögen meiner Stimme. Wenn ich auf nächtlicher Straße den Schrei erfolgheischend losschickte und dennoch keinen Erfolg hatte, konnte es passieren, daß ich, der ich die Gewalttätigkeit verabscheute, zu einem Stein griff und in einer armseligen Vorstadtstraße Düsseldorfs ein Küchenfenster zum Ziel nahm. Besonders Vittlar, dem Dekorateur, hätte ich allzu gerne etwas vorgemacht. Wenn ich ihn nach Mitternacht, zur oberen Hälfte durch einen Vorhang geschützt, unten an seinen grünroten Wollsocken hinter der Schaufensterscheibe eines Herrenmodengeschäftes auf der Königsallee oder einer Parfümerie in der Nähe der ehemaligen Tonhalle erkannte, hätte ich jenem, der zwar mein Jünger

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