Die Blechtrommel
ist oder sein könnte, gerne das Glas zersungen, weil ich immer noch nicht weiß, ob ich ihn Judas oder Johannes nennen soll.
Vittlar ist adlig und nennt sich Gottfried mit Vornamen. Wenn ich nach meinem beschämend vergeblichen Singversuch durch leichtes Trommeln an der heilen Schaufensterscheibe den Dekorateur auf mich aufmerksam machte, wenn er für ein Viertelstündchen auf die Straße trat, mit mir plauderte und über seine Dekorationskünste spottete, mußte ich ihn Gottfried nennen, weil meine Stimme nicht jenes Wunder hergab, das mir erlaubt hätte, ihn Johannes oder Judas zu heißen.
Der Gesang vor dem Juwelierladen, der Jan Bronski zum Dieb, meine Mama zur Besitzerin eines Rubinencolliers machte, sollte vorläufig meine Singerei vor Schaufenstern mit begehrenswerten Auslagen beenden. Mama wurde fromm. Was machte sie fromm? Der Umgang mit Jan Bronski, das gestohlene Collier, die süße Mühsal eines ehebrecherischen Frauenlebens machten sie fromm und lüstern nach Sakramenten. Wie gut sich die Sünde einrichten läßt: am Donnerstag traf man sich in der Stadt, ließ den kleinen Oskar beim Markus, hatte es in der Tischlergasse auf zumeist befriedigende Art und Weise anstrengend, erfrischte sich hernach im Cafe Weitzke bei Mokka und Gebäck, holte das Söhnchen beim Juden ab, ließ sich von dem einige Komplimente und ein Päckchen fast geschenkte Nähseide mitgeben, fand seine Straßenbahnlinie Fünf, genoß lächelnd und ganz woanders mit den Gedanken die Fahrt am Olivaer Tor vorbei durch die Hindenburgallee, nahm kaum jene Maiwiese neben der Sporthalle wahr, auf der Matzerath seine Sonntagvormittage zubrachte, ließ sich die Kurve um die Sporthalle herum gefallen — wie häßlich der Kasten sein konnte, wenn man gerade was Schönes erlebt hatte — noch eine Kurve links und hinter verstaubten Bäumen das Conradinum mit seinen rot-bemützten Schülern — wie hübsch, wenn doch Oskarchen auch solch eine rote Mütze mit dem goldenen C zu Gesicht stünde; zwölf einhalb wäre er, säße in der Quarta, käme jetzt ans Latein heran und trüge sich als ein richtiger kleiner, fleißiger, auch etwas frecher und hochmütiger Conradiner.
Hinter der Eisenbahnunterführung in Richtung Reichskolonie und Helene-Lange-Schule verloren sich die Gedanken der Frau Agnes Matzerath ans Conradinum, an die verpaßten Möglichkeiten ihres Sohnes Oskar. Noch eine Kurve links, an der Christuskirche mit dem Zwiebelturm vorbei, und am Max-Halbe-Platz, vor Kaisers-Kaffee-Geschäft, stieg man aus, warf noch einen Blick in die Schaufenster der Konkurrenz und mühte sich durch den Labesweg wie durch einen Kreuzweg: die beginnende Unlust, das anomale Kind an der Hand, das schlechte Gewissen und das Verlangen nach Wiederholung; mit Nichtgenug und Überdruß, mit Abscheu und gutmütiger Zuneigung für den Matzerath mühte sich meine Mama mit mir, meiner neuen Trommel, dem Päckchen halbgeschenkter Nähseide durch den Labesweg zum Geschäft, zu den Haferflocken, zum Petroleum neben dem Heringsfäßchen, zu den Korinthen, Rosinen, Mandeln und Pfefferkuchengewürzen, zu Dr. Oetkers Backpulver, zu Persil bleibt Persil, zu Urbin, ich hab's, zu Maggi und Knorr, zu Kathreiner und Kaffee Hag, zu Vitello und Palmin, zu Essig-Kühne und Vierfruchtmarmelade, zu jenen beiden in verschiedenen Stimmlagen summenden Fliegenfängern führte mich Mama, die honigsüß über unserem Ladentisch hingen und im Sommer alle zwei Tage gewechselt werden mußten, während Mama jeden Sonnabend mit ähnlich übersüßer Seele, die sommers und winters, das ganze Jahr über hoch und niedrig summende Sünden anlockte, in die Herz-Jesu-Kirche ging und Hochwürden Wiehnke beichtete.
Wie mich Mama am Donnerstag in die Stadt mitnahm und mich sozusagen zum Mitschuldigen machte, nahm sie mich sonnabends mit durchs Portal auf die kühlen katholischen Fliesen, stopfte mir zuvor die Trommel unter den Pullover oder das Mäntelchen, denn ohne Trommel ging es nun einmal nicht bei mir, und ohne Blech vor dem Bauch hätte ich niemals, Stirn, Brust und Schultern berührend, das katholische Kreuz geschlagen, wie beim Schuhanziehen das Knie gebeugt und mich mit langsam trocknendem Weihwasser über der Nasenwurzel auf dem blanken Kirchenholz ruhig verhalten.
Ich erinnerte mich der Herz-Jesu-Kirche noch von der Taufe her: es hatte Schwierigkeiten des heidnischen Namens wegen gegeben, doch man bestand auf Oskar, und Jan, als Pate, sagte auch so im Kirchenportal. Dann blies mir Hochwürden
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