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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Gelegenheit gehabt, meinem Blick über schwarzes, bräunliches, für letzte Zwecke verwendetes Holz gleiten zu lassen. Der Sarg meiner armen Mama war schwarz. Er verjüngte sich auf wunderbar harmonische Weise zum Fußende hin. Gibt es auf dieser Welt eine Form, die den Proportionen des Menschen auf ähnlich gelungene Art entspricht?
    Hätten die Betten doch diesen Schwund zum Fußende hin! Möchten sich doch all unsere gewohnten und gelegentlichen Liegen so eindeutig zum Fußende hin verjüngen. Denn, mögen wir uns noch so spreizen, endlich ist es doch nur diese schmale Basis, die unseren Füßen zukommt, die sich vom breiten Aufwand, den Kopf, Schultern und Rumpf beanspruchen, zum Fußende hin verjüngt.
    Matzerath ging direkt hinter dem Sarg. Er trug den Zylinder in der Hand und gab sich beim langsamen Schreiten Mühe, trotz des großen Schmerzes die Knie zu strecken. Immer wenn ich seinen Nacken sah, tat er mir leid: sein ausladender Hinterkopf und die beiden Angströhren, die ihm aus dem Kragen gegen den Haaransatz wuchsen.
    Warum nahm mich Mutter Truczinski bei der Hand und nicht Gretchen Scheffler oder Hedwig Bronski? Sie wohnte in der zweiten Etage unseres Mietshauses, hatte wohl keinen Vornamen, hieß überall Mutter Truczinski.Vor dem Sarg Hochwürden Wiehnke mit Meßdiener und Weihrauch. Mein Blick glitt von Matzeraths Nacken zu den kreuz und quer gefurchten Nacken der Leichenträger. Einen wilden Wunsch galt es zu bekämpfen: auf den Sarg wollte Oskar hinauf. Obendraufsitzen wollte er und trommeln. Nicht aufs Blech, auf den Sargdeckel wollte Oskar mit seinen Stöcken. Während sie ihn schwankend trugen, wollte er ihn reiten. Während die hinter ihm Hochwürden nachbeteten, wollte Oskar ihnen vortrommeln. Während sie ihn über dem Loch auf Brettern und Seilen absetzten, wollte Oskar auf dem Holz Haltung bewahren. Während Predigt, Meßglöckchen, Weihrauch und Weihwasser wollte er sein Latein aufs Holz klopfen und ausharren, während sie ihn mit dem Kasten an den Seilen herabließen. Mit Mama und dem Embryo wollte Oskar in die Grube. Unten bleiben, während die Hinterbliebenen ihre Hand voller Erde hinabwarfen, nicht hochkommen wollte Oskar, auf dem verjüngten Fußende wollte er sitzen, trommeln, wenn möglich, unter der Erde trommeln, bis ihm die Knüppel aus den Händen, das Holz unter den Knüppel, bis ihm seine Mama, bis er ihr, bis jeder dem anderen zuliebe faulte, das Fleisch an die Erde und ihre Bewohner abgab; auch mit den Knöchelchen hätte Oskar noch gerne den zarten Knorpeln des Embryos vorgetrommelt, wenn es nur möglich und erlaubt gewesen wäre.
    Niemand saß auf dem Sarg. Ledig schwankte er unter den Ulmen und Trauerweiden des Brenntauer Friedhofes. Die bunten Hühner des Küsters zwischen den Gräbern, nach Würmern pickend, nicht säend und dennoch erntend. Dann zwischen Birken. Ich hinter Matzerath an Mutter Truczinskis Hand, gleich hinter mir meine Großmutter — Greff und Jan führten sie —, Vinzent Bronski an Hedwigs Arm, Klein-Marga und Stephan Hand in Hand vor den Schefflers. Der Uhrmacher Laubschad, der alte Herr Heilandt, Meyn, der Trompeter, doch ohne sein Blech und auch einigermaßen nüchtern.
    Erst als alles vorbei war und die Leute mit dem Beileid anfingen, bemerkte ich Sigismund Markus.
    Schwarz und verlegen schloß er sich all denen an, die Matzerath, mir, meiner Großmutter und den Bronskis die Hand geben, etwas murmeln wollten. Zuerst begriff ich nicht, was Alexander Scheffler vom Markus verlangte. Die kannten sich kaum, wenn sie sich überhaupt kannten. Schließlich sprach auch der Musiker Meyn auf den Spielzeughändler ein. Sie standen hinter einer halbhohen Hecke aus jenem grünen Zeug, das abfärbt und bitter schmeckt, wenn man es zwischen den Fingern reibt. Frau Kater mit ihrer hinter dem Taschentuch feixenden, etwas zu schnell gewachsenen Tochter Susi brachten gerade beim Matzerath ihr Beileid an, ließen es sich nicht nehmen, mir den Kopf zu streicheln. Hinter der Hecke wurde es laut, blieb aber unverständlich. Der Trompeter Meyn tippte dem Markus mit dem Zeigefinger gegen den schwarzen Anzug, schob ihn so vor sich her, nahm den Sigismund links am Arm, während Scheffler sich rechts einhängte. Und beide gaben acht, daß der Markus, der rückwärts ging, nicht über Gräbereinfassungen stolperte, schoben ihn auf die Hauptallee und zeigten dem Sigismund, wo das Friedhofstor war. Der schien sich für die Auskunft zu bedanken und ging Richtung Ausgang, setzte

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