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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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spielen und am Abend die Versuchung nicht vordringlich genug sein wollte, um in dunklen Hauseingängen einen glaubwürdigen Versucher abgeben zu können, stampfte ich taktgebend die vier Treppen hoch, zählte hundertsechzehn Stufen, verhielt in jeder Etage, nahm die Gerüche wahr, die durch die jeweils fünf Wohnungstüren aller Stockwerke drangen, weil es den Gerüchen, gleich mir, in den Zweizimmerwohnungen zu eng wurde.
    Anfangs hatte ich noch dann und wann Glück mit dem Trompeter Meyn. Betrunken und auf dem Trockenboden zwischen den Bettlaken liegend, konnte er unerhört musikalisch in seine Trompete hauchen und meiner Trommel Vergnügen bereiten. Im Mai achtunddreißig gab er den Machandel auf, verriet allen Leuten: »Jetzt fängt ein neues Leben an!« Er wurde Mitglied im Musikkorps der Reiter-SA. Gestiefelt und mit geledertem Gesäß, stocknüchtern sah ich ihn fortan auf der Treppe fünf Stufen auf einmal nehmen. Seine vier Katzen, deren eine Bismarck hieß, hielt er sich noch, weil, wie man annehmen konnte, dann und wann dennoch der Machandel siegte und ihn musikalisch machte.
    Selten klopfte ich beim Uhrmacher Laubschad an, einem stillen Mann zwischen hundert lärmenden Uhren. Solch übertriebenen Verschleiß der Zeit konnte ich mir allenfalls einmal im Monat leisten.Der alte Heilandt hatte noch immer seinen Kabuff auf dem Hof des Miethauses. Immer noch klopfte er krumme Nägel gerade. Auch gab es Kaninchen und Kaninchen von Kaninchen wie in alten Zeiten.
    Aber die Gören auf dem Hof waren andere. Die trugen jetzt Uniformen und schwarze Schlipse, kochten keine Ziegelmehlsuppen mehr. Was da heranwuchs, mich überragte, kannte ich kaum beim Namen. Das war eine andere Generation, und meine Generation hatte die Schule hinter sich, steckte in der Lehre: Nuchi Eyke wurde Friseur, Axel Mischke wollte Schweißer bei Schichau werden, Susi Kater lernte Verkäuferin im Kaufhaus Sternfeld, hatte schon einen festen Freund. Wie sich in drei, vier Jahren alles ändern kann. Da gab es zwar immer noch die alte Teppichklopfstange, auch stand in der Hausordnung: Dienstag und Freitag Teppichklopfen, aber das knallte nur noch spärlich und fast verlegen an den zwei Wochentagen: seit Hitlers Machtübernahme gab es mehr und mehr Staubsauger in den Haushaltungen; die Teppichklopfstangen vereinsamten und dienten nur noch den Sperlingen.
    So blieben mir alleine das Treppenhaus und der Dachboden. Unter den Dachpfannen ging ich meiner bewährten Lektüre nach, im Treppenhaus klopfte ich, wenn ich Sehnsucht nach Menschen hatte, an der ersten Tür links in der zweiten Etage. Mutter Truczinski machte immer auf. Seitdem sie mich auf dem Brenntauer Friedhof an der Hand gehalten und zum Grabe meiner armen Mama geführt hatte, machte sie immer auf, wenn Oskar mit seinen Trommelstöcken die Türfüllung besuchte.
    »Nu trommel nech so laut, Oskarchen. Da Häbert schläft noch beßchen, wail er hat wieder né scharfe Nacht jehabt und se mißten ihm bringen mit Auto.« In die Wohnung zog sie mich dann, goß mir Malzkaffee und Milch ein, gab mir auch ein Stück braunen Kandiszucker am Faden zum Eintauchen und Lecken. Ich trank, lutschte am Kandis und ließ die Trommel ruhen.
    Mutter Truczinski hatte einen kleinen runden Kopf, den dünne aschgraue Haare so durchsichtig bespannten, daß die rosa Kopfhaut durchschimmerte. Die spärlichen Fäden strebten alle zum ausladendsten Punkt ihres Hinterkopfes, bildeten dort einen Dutt, der trotz seiner geringen Größe — er war kleiner als eine Billardkugel — von allen Seiten, sie mochte sich drehen und wenden, zu sehen war. Stricknadeln hielten den Dutt zusammen. Ihre runden, beim Lachen wie draufgesetzt wirkenden Wangen rieb Mutter Truczinski jeden Morgen mit dem Papier der Zichoriepackungen ein, das rot war und abfärbte. Sie hatte den Blick einer Maus. Ihre vier Kinder hießen: Herbert, Guste, Fritz, Maria.
    Maria war in meinem Alter, hatte die Volksschule gerade hinter sich, wohnte und machte die Haushaltslehre bei einer Beamtenfamilie in Schidlitz. Fritz, der in der Waggonfabrik arbeitete, sah man selten. Abwechselnd zwei bis drei Mädchen hatte er, die ihm das Bett machten, mit denen er in Ohra auf der »Reitbahn« tanzen ging. Auf dem Hof des Miethauses hielt er sich Kaninchen, Blaue Wiener, die aber Mutter Truczinski versorgen mußte, weil Fritz bei sei' nen Freundinnen alle Hände voll zu tun hatte. Guste, eine ruhige Person, um die dreißig herum, war Serviererin im Hotel Eden am

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