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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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ihm ein Törtchen bestellte, blickte sie an dem Befrackten wie an einem Turm hoch.
    Bebra beobachtete mich: »Es scheint ihm nicht gut zu gehen, unserem Glastöter. Wo fehlt es, mein Freund? Will das Glas nicht mehr oder mangelt's an Stimme?«
    Jung und ungestüm wie ich war, wollte Oskar sofort ein Pröb-chen seiner noch immer unverwelkten Kunst geben. Suchend blickte ich mich um, fixierte schon die große Glasfläche vor den Zierfischen und Unterwasserpflanzen des Aquariums, da sprach Bebra, bevor ich sang: »Nicht doch, mein Freund!
    Wir glauben Ihnen auch so. Keine Zerstörungen bitte, Überschwemmungen, kein Fischsterben!«
    Beschämt entschuldigte ich mich vor allen Dingen bei Signora Roswitha, die einen Miniaturfächer hervorgezogen hatte und aufgeregt Wind machte.
    »Meine Mama ist gestorben«, versuchte ich mich zu erklären. »Das hätte sie nicht tun dürfen. Ich nehme ihr das übel. Da reden die Leute immer: Eine Mutter merkt alles, fühlt alles, eine Mutter verzeiht alles. Muttertagssprüche sind das! Einen Gnom hat sie in mir gesehen. Abgetan hätte sie den Gnom, wenn sie nur gekonnt hätte. Konnte mich aber nicht abtun, weil Kinder, selbst Gnome, in den Papieren vermerkt sind und nicht einfach abgetan werden können. Auch weil ich ihr Gnom war, weil sie, wenn sie mich abgetan hätte, sich selbst abgetan und verhindert hätte. Entweder ich oder der Gnom, hat sie sich gefragt, hat dann mit sich Schluß gemacht, hat nur noch Fisch gegessen und nicht mal frischen Fisch, hat ihre Liebhaber verabschiedet und jetzt, da sie auf Brenntau liegt, sagen alle, die Liebhaber und die Kunden im Geschäft: Der Gnom hat sie ins Grab getrommelt. Wegen Oskarchen wollte sie nicht mehr weiterleben, er hat sie umgebracht!«
    Ich übertrieb reichlich, wollte womöglich Signora Roswitha beeindrucken. Es gaben schließlich die meisten Leute Matzerath und besonders Jan Bronski die Schuld an Mamas Tod. Bebra durchschaute mich.
    »Sie übertreiben, mein Bester. Aus purer Eifersucht grollen Sie Ihrer toten Mama. Weil sie nicht Ihretwegen, vielmehr der anstrengenden Liebhaber wegen ins Grab ging, fühlen Sie sich zurückgesetzt. Böse und eitel sind Sie, wie es sich nun einmal für ein Genie gehört!«
    Dann, nach einem Seufzer und seitlichen Blick auf die Signora Roswitha: »Es ist nicht leicht, in unserer Größe auszuharren. Human bleiben ohne äußeres Wachstum, welch eine Aufgabe, welch ein Beruf!«
    Roswitha Raguna, die neapolitanische Somnambule mit der gleichviel glatten wie zerknitterten Haut, sie, die ich auf achtzehn Lenze schätzte, nach dem nächsten Atemzug als achtzig-, womöglich neunzigjährige Greisin bewunderte, Signora Roswitha streichelte den eleganten, englisch zugeschnittenen Maßanzug des Herrn Bebra, schickte dann mir ihre kirschschwarzen Mittelmeeraugen, hatte eine dunkle Früchte versprechende Stimme, die mich bewegte und erstarren ließ: »Carissimo, Oskarnello! Wie versteh ich ihn, den Schmerz! Andiamo, kommen Sie mit uns: Milano, Parigi, Toledo, Guatemala!«
    Ein Schwindel wollte mich überfallen. Die blutjunge uralte Hand der Raguna ergriff ich. Es schlug das Mittelmeer an meine Küste, Olivenbäume flüsterten mir ins Ohr: »Roswitha wird wie Ihre Mama sein, verstehen wird Roswitha. Sie, die große Somnambule, die alle durchschaut, erkennt, nur sich selbst nicht, mammamia, nur sich selbst nicht, Dio!«
    Merkwürdigerweise entzog mir die Raguna plötzlich und schreckhaft die Hand, kaum daß sie angefangen hatte, mich zu durchschauen und mit somnambulem Blick zu durchleuchten. Hatte mein vierzehnjähriges, hungriges Herz sie entsetzt? War ihr aufgegangen, daß Roswitha, ob Mädchen oder Greisin, für mich Roswitha bedeutete? Neapolitanisch flüsterte sie, zitterte, bekreuzigte sich so oft, als hörten die Schrecken, die sie mir ablas, nicht mehr auf, verschwand dann wortlos hinter ihrem Fächer.
    Verwirrt verlangte ich Aufklärung, bat den Herrn Bebra um ein Wort. Doch selbst Bebra hatte trotz direkter Abstammung vom Prinzen Eugen die Fassung verloren, stammelte, und endlich verstand ich:
    »Ihr Genie, junger Freund, das Göttliche, aber auch das ganz gewiß Teuflische Ihres Genies haben meine gute Roswitha etwas verwirrt, und auch ich muß gestehen, daß eine Ihnen eigene, jäh ausbrechende Maßlosigkeit mir fremd, wenn auch nicht ganz unverständlich ist. Doch einerlei«, Bebra raffte sich auf, »wie Ihr Charakter auch beschaffen sein mag, kommen Sie mit uns, treten Sie auf in Bebras Mirakelschau. Bei

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