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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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nach Benekes Tod die Galionsfigur an den Bug montierte, brannten schon im Hafen, kurz nach der Montage, andere Schiffe in Brand steckend, ab; bis auf die Galionsfigur selbstverständlich, die war feuerfest und fand wegen ihren ausgewogenen Formen immer wieder Liebhaber unter den Schiffseignern. Kaum nahm jedoch das Weib ihren angestammten Platz ein, dezimierten sich hinter ihrem Rücken in Meuterei ausbrechend die vormals friedfertigsten Schiffsmannschaften. Die erfolglose Fahrt der Danziger Flotte unter der Leitung des hochbegabten Eberhard Ferber gegen Dänemark im Jahre fünfzehnhundertzweiundzwanzig führte zum Sturz Ferbers, zu blutigen Aufständen in der Stadt. Zwar spricht die Geschichte von religiösen Streitigkeiten — dreiundzwanzig führte der protestantische Pastor Hegge die Menge zum Bildersturm auf die sieben Pfarrkirchen der Stadt an — wir aber wollen der Galionsfigur die Schuld an diesem noch lange nachwirkenden Unglück geben: sie schmückte den Bug des Ferberschen Schiffes. Als fünfzig Jahre später Stephan Bathory die Stadt vergeblich belagerte, gab Kaspar Jeschke, der Abt des Klosters Oliva, Bußpredigten haltend, der Galionsfigur, dem sündhaften Weib die Schuld. Der Polenkönig hatte sie von der Stadt zum Geschenk erhalten, führte sie mit sich in seinem Feldlager, ließ sich von ihr schlecht beraten. Inwieweit die hölzerne Dame die Schwedenfeldzüge gegen die Stadt beeinflußte, die jahrelange Kerkerhaft des religiösen Eiferers Dr. Ägidius Strauch, der mit den Schweden konspirierte, auch die Verbrennung des grünen Weibes, das wieder in die Stadt zurückgefunden hatte, forderte, wissen wir nicht. Eine etwas dunkle Nachricht will besagen, daß ein aus Schlesien geflohener Poet mit Namen Opitz einige Jahre Aufnahme in der Stadt fand, jedoch allzufrüh verstarb, weil er die verderbliche Schnitzerei in einem Speicher aufspürte und mit Versen zu besingen versuchte.
    Erst gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts, zur Zeit der polnischen Teilungen, erließen die Preußen, die sich gewaltsam der Stadt bemächtigen mußten, ein königlich-preußisches Verbot gegen die »hölzern Figur Niobe«. Zum erstenmal wurde sie urkundlich beim Namen genannt und sogleich in jenem Stockturm, in dessen Hof der Paul Beneke ersäuft worden war, von dessen Galerie aus ich meinen fernwirkenden Gesang erstmals erfolgreich probiert hatte, evakuiert oder besser eingekerkert, damit sie sich angesichts der ausgesuchtesten Produkte menschlicher Phantasie, den Folterinstrumenten gegenüber, das ganze neunzehnte Jahrhundert lang ruhig verhielt.
    Als ich im Jahre zweiunddreißig auf den Stockturm kletterte und mit meiner Stimme die Foyerfenster des Stadttheaters heimsuchte, hatte man Niobe — vom Volksmund »Dat griehne Marjellchen« oder »De griehne Marjell« genannt — schon seit Jahren und Gottseidank aus der Folterkammer des Turmes entfernt. Wer weiß, ob mir sonst der Anschlag auf das klassizistische Bauwerk geglückt wäre?
    Es muß ein unwissender, ein zugereister Museumsdirektor gewesen sein,der Niobe aus der sie im Zaume haltenden Folterkammer holte und kurz nach der Gründung des Freistaates im neueingerichteten Schiffahrtsmuseum ansiedelte. Bald darauf starb er an einer Blutvergiftung, die sich der übereifrige Mann beim Befestigen eines Schildchens zugezogen hatte, auf dem zu lesen stand, daß oberhalb der Beschriftung eine Galionsfigur, auf den Namen Niobe hörend, ausgestellt sei. Sein Nachfolger, ein vorsichtiger Kenner der Geschichte der Stadt, wollte Niobe wieder, entfernen. Der Stadt Lübeck gedachte er das gefährliche hölzerne Mädchen zu schenken, und nur weil die Lübecker dieses Geschenk nicht annahmen, hat das Städtchen an der Trave, bis auf seine Backsteinkirchen, den Bombenkrieg verhältnismäßig heil überstanden.
    Niobe oder »De griehne Marjell« blieb also im Schiffahrtsmuseum und bewirkte während des Zeitraumes von knapp vierzehn Jahren Museumsgeschichte den Tod zweier Direktoren — nicht den des vorsichtigen Direktors, der hatte sich versetzen lassen — den Hingang eines älteren Priesters zu ihren Füßen, die gewaltsamen Abschiede eines Studenten der Technischen Hochschule, zweier Primaner der Petri-Oberschule, die das Abitur gerade glücklich bestanden hatten, und das Ende von vier zuverlässigen, zumeist verheirateten Museumswärtern.
    Man fand alle, auch den technischen Studenten, verklärten Gesichtes mit scharfen Gegenständen jener Machart in der Brust vor, wie man sie nur

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