Die Bleiche Hand Des Schicksals
das eine Entschuldigung für die Klassenversammlung und die erste Geometriestunde einbrachte. Er hüpfte die Altarstufen hinunter und zog eine Kniebank über die nackten Steine, ehe er die Mahagonischranke vor dem Altar schloss. Clare wartete, während die Büßer aus den Bänken rutschten und ihren Weg zur Schranke antraten. Als eine mantelverhüllte Gestalt nach der anderen auf die gepolsterte, samtene Kniebank sank, trat sie vor. »Gedenke, dass du Staub bist«, sagte sie, tauchte ihren Daumen in die Schale und zeichnete mit fester Hand ein Kreuz auf Nathan Andernachs Stirn. »Und zum Staub wirst du zurückkehren.« Sie malte ein rußiges Kreuz unter Judy Morrisons heftig toupierten Pony. Die Reihe entlang, wieder und wieder. »Gedenke, dass du Staub bist, und zum Staub wirst du zurückkehren.« Die schwarzen Kreuze erschienen unter ihrem Daumen. »Gedenke, dass du Staub bist, und zum Staub wirst du zurückkehren.« Zuletzt wandte sie sich zu Willem, der hilfsbereit seinen Pony aus dem Gesicht strich, um seine Stirn zu entblößen. Sie hätte fast gelächelt. Kein Sechzehnjähriger gedachte jemals, dass er Staub war.
Sie drehte sich wieder zum Altar und tauchte mit einer leichten Verbeugung ein letztes Mal ihren Daumen in die Asche. Sie zeichnete ein Kreuz auf ihre eigene Stirn, spürte, wie die feinen Körner sich hineindrückten, ihre Haut zeichneten. »Gedenke, dass du Staub bist«, flüsterte sie.
Der Eissturm, auf den alle gewartet hatten, brach am Ende des Gottesdienstes los. Clare schüttelte Hände und verabschiedete sich nahe der inneren Tür des Narthex, weil es dort am wenigsten zugig war.
Als die Mitglieder der Gemeinde die Türen öffneten und schlossen, konnte sie kurze Blicke auf den stahlgrauen Himmel werfen und das Knistern und Prasseln des Schnee-und Eisregens hören.
Dr. Anne Vining-Ellis blieb vor Clare stehen, um sich einen Schal um den Hals zu wickeln. »Ich bin froh, dass ich heute morgen darauf bestanden habe, Will herzufahren«, sagte sie. »Für einen unerfahrenen Autofahrer ist das Wetter einfach eklig.«
Clare winkte einem parkabekleideten Rücken zu und schauderte, als ein kalter Luftzug durch den Eingang fegte. »Darauf ein Amen«, erwiderte sie.
»Ich nehme nicht an, dass ich dir nahelegen kann, heute zu Hause zu bleiben.«
»Ich werde meinen Ruf als miserable Autofahrerin auf euren winterlichen Straßen niemals loswerden, stimmt’s?« Unter den Mitgliedern von Clares Herde kam Anne – die allgemein Dr. Anne genannt wurde – einer guten Freundin am nächsten. Clare störte es nicht, wenn sie ein bisschen übertrieb mit ihrer Sorge. »Keine Angst, ich habe nicht vor, heute Hausbesuche zu machen. Ich muss noch zwei Messen halten, um zwölf und um halb sechs. Da hab ich genug zu tun.«
Die Notärztin warf einen kurzen Blick nach oben auf die im Schatten liegenden Dachsparren. »Heute ist Mittwoch. Mittwochs gehst du immer ins Kreemy Kakes.«
Clare verzog den Mund, wie sie hoffte, zu einem Lächeln. »Na, siehst du? Das ist mitten in der Stadt.«
»Ich bin nicht die Einzige, der deine Gewohnheiten auffallen, Clare.« Dr. Anne sah sie an. »Du weißt, dass ich keine Klatschtante bin. Aber meiner Meinung nach solltest du wissen, dass die Tatsache, dass du jede Woche mit einem verheirateten Mann zum Mittagessen gehst, nicht unbemerkt geblieben ist.« Clare öffnete den Mund. Dr. Anne schnitt ihr das Wort ab. »Und ich weiß, dass das Ganze vollkommen harmlos ist. Das musst du mir nicht sagen.«
Clare verdrehte die Augen. »Wenn ein Mittagessen pro Woche in einem öffentlichen Lokal schon Anlass zum Tratsch gibt, kann ich mir nicht vorstellen, was ich tun könnte, um ihn abzustellen. Den Mann in mein Haus einladen, wo uns niemand zusammen sieht?«
Dr. Anne schüttelte den Kopf. »Nimm es als freundlichen Hinweis.« Sie legte eine behandschuhte Hand auf Clares Arm. »In dieser Gemeinde gibt es immer noch einige Leute, die von der Vorstellung einer weiblichen Pastorin nicht allzu begeistert sind. Liefere Ihnen nicht noch Munition, okay?«
»Ich werde versuchen, meinem Geschlecht Ehre zu machen«, erwiderte Clare.
Dr. Anne lachte. »Das sollte reichen. He, wo ist mein ungeratenes Kind? Willem?«
Die Stimme des Jungen erklang von der anderen Seite der Kirche. »Mom! Reverend Clare! Schaut euch das an!«
Dr. Anne sah Clare fragend an und lief dann zu ihrem Sohn. Clare folgte ihr und streifte sich im Gehen das Messgewand über den Kopf. Willem stand in der Mitte der Nordwand der
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