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Die Bleiche Hand Des Schicksals

Die Bleiche Hand Des Schicksals

Titel: Die Bleiche Hand Des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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gedacht? Sie können bei der Katalogisierung der Sammlung immer Hilfe brauchen. Es ist ein unglaublich langweiliger Job, man hockt im Obergeschoss und sieht Kisten mit Zeug durch. Sie haben es schwer, Leute dauerhaft dafür zu interessieren.«
    Sie lehnte sich zurück. »Das ist gar keine schlechte Idee.« Sie dachte darüber nach, zur Abwechslung Zeit mit Dingen statt mit Menschen zu verbringen, im obersten Stock, ganz allein. Es wäre fast, wie in Klausur zu gehen, beinahe mönchisch. »Wo ist die Historische Gesellschaft?«
    »Wissen Sie, wo die kostenlose Klinik ist? An der Barkley Avenue?«
    »Ja.«
    »Direkt nebenan.«
    Sie zerknüllte die Serviette und ließ sie in ihre leere Schüssel fallen. »Ich schaue morgen vorbei und hör mal, was sie meinen.«
    »Glauben Sie mir, wenn Sie reinmarschieren und eine Vierzig-Tage-Schicht ankündigen, wird man Sie mit offenen Armen und Freudengeheul empfangen.«
    »Woher wissen Sie so viel darüber?«
    Er lächelte selbstgefällig. »Ich bin im Verwaltungsrat.«
    Sie lachte. »Sie stecken heute voller Überraschungen.«
    »Ich will nicht langweilig werden.«
    »Niemals.«
    Ein Schweigen entstand. Dann wandte sich Russ um und winkte ihre Kellnerin herüber, und Clare bückte sich auf der Suche nach ihrer Brieftasche.
    »Das geht auf mich«, erklärte er und zog der Kellnerin die Rechnung aus der Hand.
    »Sie haben letzte Woche bezahlt. Und in der Woche davor.«
    »Na und? Ich verdiene mehr Geld als Sie.«
    »Darum geht es nicht. Wir hatten vereinbart, die Rechnung zu tei…«
    Er stand auf und zog sein Portemonnaie aus der Gesäßtasche. »Dann spenden Sie eben an die Historische Gesellschaft.« Er legte etwas Geld neben die Ketchupflasche und wartete, während sie sich in ihren schweren Expeditionsparka kämpfte, ein Weihnachtsgeschenk ihrer besorgten Südstaateneltern. Dann trat er beiseite, um ihr den Vortritt auf dem Weg zur Tür zu lassen. Unterwegs wurde er von zwei Ratsmitgliedern gegrüßt, und sie sagte zu einem ihrer Schäfchen hallo. Es war alles sehr offen. Sehr korrekt. Vollkommen harmlos.
    Gedenke, dass du Staub bist. Vorhin hatte sie die Worte gesagt. Jetzt … jetzt fühlte sie sie wirklich.

3 Dienstag, 23. Mai 1950
    N orman Madsen legte das letzte Blatt auf die grüne Filzunterlage und sah auf. Er lächelte die Frau in dem tiefen Ledersessel ihm gegenüber über den gewaltigen Schreibtisch hinweg zögernd an. Sie erwiderte sein Lächeln nicht.
    »Mrs. Ketchem«, sagte er. »Ich fürchte, als Ihr Anwalt muss ich Ihnen sagen, dass …«
    »Sie sind nicht mein Anwalt, junger Mann«, sagte sie. »Mein Anwalt ist Mr. Niels Madsen. Ich nehme an, ich spreche mit Ihnen, weil er indisponiert ist.«
    Norman hielt sein Lächeln durch reine Willenskraft aufrecht. »Ich kann nicht behaupten, meinem Vater ebenbürtig zu sein« – da die Tinte auf seiner Examensurkunde kaum getrocknet war, entsprach das sicherlich der Wahrheit –, »aber ich hoffe, ich kann Ihnen auch weiterhin die ausgezeichneten Dienste bieten, die Sie von Madsen und Madsen gewohnt sind.« Das war eine faustdicke Lüge. Natürlich wollten sein Vater und sein Onkel jeden ihrer Mandanten halten, gleichgültig wie unprofitabel deren Geschäfte oder wie unregelmäßig deren Bedarf an juristischem Rat waren. Sie schwadronierten liebend gern über die Zeit der Großen Depression, als sie, wenn man ihnen so zuhörte, ausschließlich in Hühnern und Igeln bezahlt wurden. Aber hier und heute konnten es sich die Seniorpartner von Madsen und Madsen nicht leisten, ihre teure Arbeitszeit auf den steten Strom von Milchbauern, die Besitzurkunden benötigten, oder alten Damen, die ihre Häuser der Gesellschaft für bedürftige Katzen hinterlassen wollten, zu verschwenden. Deshalb blieb es dem jüngsten Mitarbeiter der Firma überlassen, die unbedeutenden Mandanten zu betreuen. Normans kleines Büro roch fortwährend nach Mist und Orangenblütenwasser. Es war nicht das Leben, das er sich in den ehrwürdigen Hallen der Cornell-Universität erträumt hatte.
    »Um fortzufahren: Es tut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, dass Sie den Besitz Ihrer verstorbenen Schwiegereltern nicht der Stadt Millers Kill übertragen können. Wie von Ihnen gewünscht, haben wir den Rat von Millers Kill diskret von Ihrem Angebot in Kenntnis gesetzt. Ihrem großzügigen Angebot«, fügte er hinzu, als er ihren störrischen Gesichtsausdruck bemerkte. »Obgleich Sie die Idee einer« – er warf einen kurzen Blick auf den Brief, den er in der Hand

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