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Die Blendende Klinge

Die Blendende Klinge

Titel: Die Blendende Klinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brent Weeks
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das harmonische Blau von Himmel und Meer bot dazu die perfekte Ergänzung. Er konnte sich so deutlich an die Farbe erinnern, dass er hätte schwören können, sie beinahe zu sehen. Er war ein Superchromat – jemand, der Farbabstufungen feiner zu differenzieren vermochte als andere Menschen. Er kannte Blau von seinen hellsten bis zu seinen dunkelsten Tönen, von seinen Violettschattierungen bis hin zu seinen grünsten Übergangsstufen, Blau in jeder Sättigung, Blau in jeder Mischung.
    »Es war nach der Schlacht«, fuhr Gavin fort. »Als wir mit all den Flüchtlingen davongesegelt sind. Ich bin am nächsten Morgen aufgewacht, und für eine Weile habe ich es nicht einmal bemerkt. Es ist, wie seiner Freundin ins Gesicht zu schauen und sich plötzlich bewusst zu werden, dass man ihren Namen nicht mehr weiß, Corvan. Das Blau ist da; es ist nah. Es ist so, als läge mir die Farbe förmlich auf der Zunge – oder neben den Augenwinkeln. Wenn ich mich nicht darauf konzentriere, merke ich es nicht einmal, nur dass die Welt stumpf und ausgebleicht wirkt. Aber selbst wenn ich mich mit aller Macht konzentriere, kann ich nur Grau sehen, wo das Blau sein sollte. Es ist genau die richtige Tönung, Sättigung und Helligkeit, aber eben … Grau.«
    Corvan schwieg für einen langen Moment und kniff seine mit roten Halos versehenen Augen zusammen. »Der Zeitpunkt stimmt nicht«, sagte er dann. »Prismen sollten stets ein Vielfaches von sieben Jahren leben. Dir sollten noch fünf Jahre bleiben.«
    »Ich glaube nicht, dass es normal ist, was mit mir passiert. Ich wurde nie zum Prisma geweiht. Vielleicht ist es das, was geschieht, wenn ein natürlicher Polychromat nicht die vom Spektrum vorgesehenen Zeremonien durchläuft.«
    »Ich weiß nicht, ob man das wirklich so …«
    »Hast du je von einem Prisma gehört, das blind geworden ist, Corvan? Jemals?« Das letzte Prisma vor Gavin – dem echten Gavin – war Alexander Eichenkron gewesen. Ein schwaches Prisma. Eichenkron hatte sich die meiste Zeit in seinen Gemächern verborgen und war wahrscheinlich mohnsüchtig gewesen. Vor ihm war die Matriarchin Eirene Malargos Prisma gewesen. Sie hatte vierzehn Jahre lang überlebt. Gavin hatte nur ganz vage Erinnerungen an sie, hatte sie als kleiner Junge bei den Sonnentagsriten gesehen.
    »Gavin, die allermeisten Prismen überleben keine sechzehn Jahre. Vielleicht hätten die vom Spektrum vorgesehenen Zeremonien dazu geführt, dass du früher gestorben wärst. Wenn du nach sieben oder vierzehn Jahren gestorben wärst, hättest du die Erfahrung, die du gerade machst, nie erlebt. Wir wissen einfach nichts darüber.«
    Das war eines der Probleme, die das Leben als Betrüger mit sich brachte. Man kann sich keine Informationen über etwas schrecklich Geheimes verschaffen, das man als Prisma doch eigentlich längst wissen sollte. Der echte Gavin war zum Prisma bestimmt worden, als er dreizehn Jahre alt war. Er hatte schwören müssen, mit niemandem je über das ihm Anvertraute zu sprechen, nicht einmal mit seinem einst besten Freund, seinem Bruder Dazen.
    Es war ein Schwur, den, soweit Gavin das beurteilen konnte, jedes Mitglied des Spektrums eingehalten hatte. Denn in den sechzehn Jahren, in denen er sich für seinen Bruder ausgegeben hatte, hatte niemand je ein Wort darüber verloren. Es konnte natürlich sein, dass sie beiläufig darauf angespielt hatten – mit Bemerkungen, die er dann nie verstanden und auf die er daher auch nicht geantwortet hatte, womit er sie in ihren Augen wiederum wissen ließ, wie hoch er die Heimlichkeit der Zeremonie schätzte und dass sie das ebenfalls tun sollten.
    Mit anderen Worten, er hatte sich in der eigenen Schlinge verfangen. Wieder einmal.
    »Corvan, ich weiß nicht, was passiert. Ich könnte morgen früh aufwachen und nicht mehr in der Lage sein, Grün zu wandeln, und am nächsten Tag vielleicht kein Gelb mehr. Oder ich habe einfach nur Blau verloren und sonst nichts, aber ich habe Blau eben verloren. Im besten Fall bleibt mir noch ein Jahr, wenn ich es schaffe, mich von der Chromeria fernzuhalten und bei jedem Blauritus abwesend zu sein – bis zum nächsten Sonnentag. Da könnte ich mich auf keinen Fall als Betrüger durch die Zeremonien schmuggeln oder einfach nicht an ihnen teilnehmen. Wenn ich bis dahin kein Blau wandeln kann, bin ich tot.«
    Gavin konnte erkennen, wie Corvan all die Konsequenzen begriff. Sein Freund stieß hörbar den Atem aus. »Ach je. Dabei lief doch alles gerade so prächtig.«

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