Die Blendende Klinge
neues Zimmer war nicht groß, aber es hatte ein Bett mit frischen Laken und einer warmen Decke, außerdem befanden sich darin ein Schreibtisch und zwei Stühle, und ein kleines Fenster gab den Blick nach draußen frei. An der Tür war ein Schloss. Der Diener reichte ihm einen Schlüssel. Nette Geste.
Die Leute, die ihn am ehesten bestehlen würden, hatten zweifellos einen Zweitschlüssel.
»Danke«, sagte Kip. »Richtet Luxlord Guile aus, dass mich seine Großzügigkeit sprachlos gemacht hat. Sagt ihm: sehr vorausschauend.«
»Sehr wohl, Herr.«
Der Mann wartete in der Nähe der Tür, und Kip wurde klar, dass er ihm ein Trinkgeld geben sollte. »Es tut mir schrecklich leid«, sagte er, »aber ich habe kein Geld.«
Der Mann blickte sich im Raum um, als wolle er sagen: Für einen Bettler habt Ihr hier aber ein verdammt schönes Zimmer. Das hieß: Lügner.
Kip errötete. »Vielen Dank noch einmal und nun auf Wiedersehen.« Er schlug dem Mann die Tür beinahe vor der Nase zu, plötzlich verärgert und zutiefst verlegen.
Doch als die Tür ins Schloss gefallen war, begriff er, dass Lord Guile ihm selbst dies noch angetan hatte. Er verfügte über jede Menge Sklaven, die Kip in sein neues Zimmer hätten bringen können. Sklaven bekamen kein Trinkgeld, und es war eine unter den Reichen recht übliche Höflichkeit, Sklaven einzusetzen, damit die eigenen Gäste sich keinerlei Gedanken über Trinkgelder zu machen brauchten. Lord Guile erinnerte Kip an seine Armut, an seine schwache, unbedeutende, gefährdete Position. Rieb es ihm unter die Nase. Erinnerte ihn daran, wie dringend er Teia brauchte.
Kip wusste nicht so viel über die damit verbundenen wirtschaftlichen Vorteile, aber er wusste, dass einige Wandler sich nie einer bestimmten Satrapie verpflichteten und stattdessen privat von Edelmännern oder Kaufleuten finanziert wurden. Diese verliehen bisweilen die Dienste ihrer Wandler an jeden, der sie benötigte – machten sie zu Söldnern. Für all jene, denen Zeit und Geld fehlten, um selbst in die Ausbildung eines Wandlers zu investieren, war es ein gutes Geschäft.
Aber … Teias Talent war doch wertlos, oder?
Doch in gewissen Kreisen war es offenbar von unschätzbarem Wert …
Gavin, Vater, kannst du nicht bitte zurückkommen? Ich habe Angst, dass ich hier etwas Schreckliches anstellen werde.
Es war zu spät, um Teia suchen zu gehen. Sie war inzwischen wahrscheinlich mit ihrer Arbeitsschicht fertig. Aber hier konnte Kip nicht bleiben. Er war sowieso nicht müde. Und er hatte noch vier Stunden bis zu seinem mitternächtlichen Training mit Eisenfaust und Teia.
Er verließ den Turm des Prismas und lief nach Großjasper hinüber. Als er den Markt überquerte, hätte er schwören können, dass für einige wenige Schritte alle Menschen in Gleichschritt fielen – eins, zwei, drei Schritte, die alle zur gleichen Zeit ausführten. Dann war es wieder vorbei. Er musste es sich eingebildet haben. Einige Leute warfen einander Blicke zu, dann widmeten sie sich wieder ihren jeweiligen Angelegenheiten. Nach einer halben Stunde stand er erneut vor Janus Borigs Tür. Er klopfte und wartete geduldig. Er sah, wie sich auf den nahe gelegenen Dächern Schatten bewegten. Wachen? Die Klappe öffnete sich, und er sah die Alte herausspähen.
»Wo kann ich ein Deck schwarzer Karten herbekommen?«, fragte Kip.
Sie lachte. »So bald schon wieder da. Siehst du? Ich habe dir ja gesagt, dass du klüger bist, als du denkst. Komm rein.«
51
»Du weißt, dass ich nicht gerne Streit anfange«, sagte Karris.
Gavin erstarrte. Dann ließ er den Löffel mit Kanincheneintopf sinken, den er gerade zum Mund hatte führen wollen. Offensichtlich keine Eröffnung, die Gutes ahnen ließ. Er stieß ein unverbindliches Brummen aus. Karris und er aßen heute Abend allein in ihrem kleinen Zelt, das sie unweit des Strandes aufgeschlagen hatten.
Die Wochen waren in einem Durcheinander wichtiger Arbeiten, erneuerter Freundschaft, erfolgloser Suche und langsam wachsender Panik an ihnen vorbeigerauscht. Die Tyreaner waren angekommen, voll ungläubigen Staunens und mit Tränen in den Augen. Die Männer und Frauen des Dritten Auges hatten ein gewaltiges Festmahl aufgetischt – und Gavin hatte dafür gesorgt, dass sich die Tyreaner sofort an die Arbeit machten. Binnen Tagen hatte er einen genauen Plan und ein festes Arbeitsprogramm ausgearbeitet. So weit wie irgend möglich übertrug er Corvan Danavis die Verantwortung, unterstützte seine
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