Die Blendende Klinge
den seine Mutter ihm gegeben hatte. Kip war wie betäubt.
Als Kip hörte, wie Grinwoody seinem Herrn etwas ins Ohr flüsterte, sah er rasch auf.
»Höllenzahn«, sagte Andross Guile. »Du hast ihn gesehen. Nicht die Karte. Das Original.«
Es war, als hätte Kip ein Schuss mitten in seinen großen, weichen Magen getroffen. Er zuckte zusammen. »Ich – nein, wovon redet Ihr da?«
»Höllenzahn ist sein anderer Name. Oder Markknacker. Das Messer des Blenders. Du hast es gesehen. Ich habe recht, nicht wahr?«
Kip antwortete nicht, aber er begriff, dass die letzten Worte nicht an ihn gerichtet waren. Grinwoody versicherte: »Er ist zusammengezuckt, als er die Karte gesehen hat, Herr. Definitiv ein Wiedererkennen.« Er unternahm keinerlei Anstalten, die Selbstgefälligkeit in seiner Stimme zu verbergen.
Er war hereingelegt worden. Andross Guile hatte ihn die ganze Zeit mit diesen Karten spielen lassen, um Kip in einem falschen Gefühl der Sicherheit zu wiegen, eine gewisse selbstzufriedene Behaglichkeit aufkommen zu lassen. Kip hatte mit dem weißen Deck schon zweimal zuvor gespielt, und nie war die Karte gekommen. Andross Guile hatte sich damit zufriedengegeben, ihn wieder und wieder damit spielen zu lassen, so dass Kip nicht vorbereitet sein würde, wenn die Karte plötzlich auftauchte. Das hatte er die ganze Zeit so gehalten, damit sich Kip, falls er das Messer schon einmal gesehen hatte, beim Auftauchen der Karte ehrlich verblüfft zeigen würde. Es war eine Falle gewesen.
»Wir werden weiterreden, wenn du so weit bist«, sagte Andross Guile. »Ich weiß, dass deine Mutter es gestohlen hat. Ich weiß, dass sie es Gavin geben wollte, vielleicht als Gegenleistung, wenn er dich als legitimen Sohn anerkannte. Ich will wissen, wo es ist und was mein Sohn darüber weiß. Im Gegenzug biete ich dir das Mädchen an. Denk darüber nach. Du wirst nicht nur jemanden haben, der dir dein Bett wärmt – worauf du dir, sehen wir den Tatsachen einmal ins Auge, ansonsten gar keine Hoffnungen zu machen brauchst –, der Besitzvertrag einer Wandlerin ist im Laufe ihres Lebens auch eine Menge Geld wert. Dein Schulgeld ist zwar bezahlt worden, aber du hast kein anderes Einkommen. Vielleicht kannst du dir ein paar Brosamen von Gavin erbetteln, wenn du ein Bettler sein möchtest und er sich noch an dich erinnert. Davon abgesehen bleibt deine einzige Möglichkeit, wie du verhindern kannst, dir selbst einen Gönner suchen zu müssen, anderen gegen Geld ihre Dienste anzubieten. Und du bekommst das alles für nur einige wenige kleine Informationen, die ich auch ohne deine Hilfe erhalten werde. Wenn ich das, was ich wissen will, aus einer anderen Quelle erfahre, gehst du leer aus.«
Kip war ratlos. Sich an Schläue und Durchtriebenheit mit Andross Guile messen zu wollen war, wie Neun Könige mit nur zwei Karten gegen einen Könner mit einem ganzen Deck zu spielen. Kips Karten hießen Unwissenheit und Dummheit. Damit gewinnt man nicht.
»Dann bis in einer Woche«, sagte Kip. »Haltet Teias Papiere schon mal bereit. Ich habe vor zu gewinnen.«
50
Sobald Kip außer Sichtweite war, rannte er los. Er nahm die Treppe hinunter zu seinem Stockwerk und rannte, bis er bei seinem Quartier angelangt war.
Vor der Tür stand ein Mann. »Hallo, Herr«, begrüßte er Kip, als er näher kam.
»Oh.«
»Man hat mir aufgetragen, Euch zu sagen, dass Lord Andross Guile Euch für Euer gutes Spiel belohnen möchte. Ihr habt nun ein eigenes Zimmer bekommen. Eure Sachen sind bereits hinaufgeschafft worden. Wenn Ihr mir bitte folgen würdet?«
Diese alte, gebrechliche, nervtötende Spinne. Großartige Leistung, alle Achtung. Er hatte gerade den Wahrsager gespielt und aus Kips Hand gelesen. Für einen Moment konnte Kip nicht umhin zu bewundern, wie gut das Ganze durchgespielt war. Wodurch konnte sich Andross eine bessere Möglichkeit verschaffen, Kips gesamten Besitz durchsuchen zu lassen, als wenn er ihm beim Umzug half? Und wie konnte Kip auch etwas dagegen einwenden? Er bekam ein besseres Zimmer, ganz umsonst.
Also tat Kip nun das Klügste, was er an diesem Tag getan hatte. Er ging nach oben – ohne unter irgendeiner Ausrede zuerst noch einmal in den Schlafsaal zu eilen und nachzusehen, ob sich der Dolch noch immer an seinem Platz in der Truhe fünf Bettreihen hinter seiner Pritsche befand. Wenn sie ihn gestohlen hatten, war er bereits weg. Wenn er noch da war, würde er sie nur mit der Nase darauf stoßen. Er würde später zurückkommen.
Sein
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