Die Blendende Klinge
vielen, vielen Jahren –, wenn ich sie in Umlauf gebracht habe, bei jenen, die sie abbilden, nicht beliebt sein werden.«
»Kann ich nicht die neuen Karten nehmen?« Das wäre eine Möglichkeit, Andross Guile die Suppe gründlich zu versalzen.
»Nein. Auf keinen Fall. Sie sind noch nicht fertig, und sobald sie es sind, ist mein Leben in noch größerer Gefahr als schon für gewöhnlich. Ich werde das Risiko in Kauf nehmen, wenn es an der Zeit ist, aber nicht jetzt schon.«
»Jemand würde Euch wegen Karten töten, die wahr sind? Die gar nicht anders können , als wahr zu sein?«
» Ganz besonders wegen dieser Dinge, Kip. Wenn ich einfach erfinden könnte, was immer mir in den Sinn kommt, nun, wer wäre ich dann schon?« Sie stopfte etwas Tabak in ihre Pfeife. Er erschien Kip schrecklich dunkel. »Einfach irgendeine alte Frau. Niemand. Wahrheit gibt Macht. Licht enthüllt …«
Ein gleißend knisternder Feuerstrahl, der zischend aus dem Pfeifenkopf bis zur Decke schoss, unterbrach sie. Sie stieß einen Fluch aus und ließ die Pfeife fallen, die sie versehentlich mit Schwarzpulver gefüllt hatte. Sie stampfte mit den Füßen auf den verstreuten Flammen herum, die sich bereits anschickten, den überall liegenden Müll in Brand zu stecken, aber rasch war das Schießpulver niedergebrannt.
»Verdammt, schon das zweite Mal diese Woche.«
Kip sah sie mit geweiteten Augen an. »Seid Ihr … seid Ihr in Gefahr?«, fragte er.
»Natürlich bin ich das«, entgegnete sie. »Aber ich bin sehr schwer zu finden. Und ich bin sehr gut geschützt.«
»Ich habe Euch ohne Probleme gefunden.«
»Das lag daran, dass ich von dir gefunden werden wollte, kleiner Guile. Außerdem – hast du meine Männer nicht gesehen?«
»Ähm …« Kip hatte geglaubt, dass es sich um Leute gehandelt hatte, die ihn beobachten sollten.
»Schwarze Kleider mit silbernem Abzeichen? Nicht gesehen? Nun, dann sind sie vielleicht annähernd das viele Geld wert, das ich ihnen zahle.« Janus nahm sich eine andere Pfeife von der Wand und stopfte sie mit Tabak. »Also, wo waren wir – oh, vergiss es, komm mit nach oben.« Kip folgte ihr, während sie weiterplapperte. »Und nun kommt der Haken der Sache.«
Wusste ich’s doch!
»Ich werde dich keine Karte nehmen lassen, solange du sie nicht gelebt hast.«
»Sie gelebt habe?«
»Bis du die Erinnerung in der Karte durchlebt hast. Wie du das schon getan hast. Für den Fall, dass du die Karte verlierst, will ich nicht, dass auch diese Erinnerungen verloren gehen.«
»Wie wäre es, wenn ich, äh, statt Eure Originalkarten zu nehmen, die ein Vermögen wert sind, Kopien nehmen würde? Ihr wisst schon, solche Karten, mit denen die Leute für gewöhnlich spielen? Normale Leute, meine ich.«
Janus Borig kratzte sich mit dem Stiel ihrer neuen Pfeife an der Nase. »Das ist … das ist der vernünftigste Vorschlag, den ich seit langem gehört habe. Es würde mir auch die Möglichkeit geben, die Karten mit Blindenmarkierungen zu versehen, was es sogleich viel wahrscheinlicher macht, dass Lord Guile dir auch erlaubt, sie zu benutzen. Kip, du bist ein schlaues Köpfchen.«
Ein schlaues Köpfchen? Janus Borig war eine solche Geistesgröße, dass es an ein Wunder grenzte, wie sie es morgens überhaupt schaffte, sich anzuziehen. Dass er an das Selbstverständliche dachte, war kein Beweis für Klugheit; eher das Gegenteil.
»Wunderbar«, sagte sie gut gelaunt. »Also, machen wir dir ein Deck.«
53
Wieder dieselbe. Sie musste besonders wichtig sein. Er musste die richtige Zeit finden. Er hatte keine Ahnung, was er tat, aber er musste es herausfinden. Eins, zwei, drei, vier, fünf.
~Kanonier~
Kapitän Burschwart ist heute Morgen ein wenig verstimmt. Das könnte etwas damit zu tun haben, dass wir zwei seiner Männer getötet haben und gerade dabei sind, uns mit seiner schönen Galeere, seinen exzellenten Ruderern, seiner reichen Fracht sowie seiner eigenen jämmerlichen Wenigkeit aus dem Staub zu machen.
»Kapitän Kanonier wird dich jetzt noch ein einziges Mal fragen, Kapitän Brustwarz«, sage ich. »Ich brauche den Kettenschlüssel.« Ich stiere finster brütend vor mich hin.
Der Kapitän, sein Bruder und zwei Offiziere sitzen mit hinter dem Rücken gefesselten Händen auf der Bordwand. Der Kapitän wirkt wütend, sein Bruder trotz seiner von Natur aus rötlichen Gesichtsfarbe grau, und die beiden Seeleute bei ihnen scheinen vollkommen verängstigt.
Sie sind Angari, von jenseits der Ewigdunklen Pforten.
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