Die Blendende Klinge
schöpfen, und sich, so schnell und so weit wie er konnte, von hier entfernen. Sobald er einmal einen sicheren Ort gefunden hatte, konnte er sich Gedanken über seine Heilung machen. Es war ein Glücksspiel. Das Blau in ihm hasste Glücksspiele, aber er musste dieses Spiel spielen oder sterben.
Er überlegte, zur Steinwand zurückzugehen und noch einmal zu klopfen, noch einmal genau nachzuprüfen, aber er brauchte das nicht. Er hatte über so lange Zeit hinweg Blau gewandelt, dass er die genauen Umrisse des Hohlraums praktisch vor Augen hatte. Er konnte sich die voraussichtliche Dicke des Steins vorstellen. Es war Granit, und aus irgendwelchen Unterrichtsstunden, die er als Junge erhalten und längst vergessen geglaubt hatte, erinnerte er sich daran, wie Granit brach.
Das war typisch Blau – Details aus der eigenen Erinnerung hervorzukramen, an die man nie geglaubt hätte sich wieder erinnern zu können. Granit zerbrach in vorausberechenbare x-förmige Keile, in Winkeln von sechzig und hundertzwanzig Grad. Natürlich konnte das Blau ihm nicht verraten, in welchem Winkel zu ihm diese Keile lagen. Und so nahm Dazen all seine Kraft zusammen und umklammerte sein rechtes Handgelenk mit der linken Hand. Er konzentrierte seinen Willen. Das erste Geschoss würde ungefähr so groß wie sein Daumen sein müssen, sonst würde der Granit womöglich nicht so aufbrechen, dass er die richtigen Winkel erkennen konnte.
Er holte tief Luft und stieß einen kurzen schrillen Schrei aus. Der Schrei festigte die Muskeln von Magen, Brust und Zwerchfell, verlieh dem Körper Spannung, so dass er zu einer stabilen Abschussrampe wurde, und beflügelte den Willen mit einer Prise animalischer Gewalt. Kalte Mechanik trifft auf rohe Bestie.
Das blaue Geschoss brach aus ihm heraus, knallte in die Wand, es gab eine kleine Explosion von Granitstaub und -splittern, und das Geschoss fuhr durch die Wand hindurch.
Kein Alarm ertönte. Zumindest keiner, den er hören konnte. Der Gefangene schritt zur Wand. Es war zu dunkel, um das Loch gut sehen zu können, aber er fuhr mit den Fingern um es herum, befühlte die Bruchstellen. Aha, ein schräger Winkel von vielleicht zwölf Grad.
Sein blau-verstärkter Verstand hatte keine Schwierigkeiten damit, die Linien zu ordnen, die Winkel auszugleichen, Linien herauszufinden, entlang deren der Stein brechen würde, und die genauen Punkte zu bestimmen, auf die er die nächsten Projektile feuern musste, um das Loch groß genug zu machen, damit er hindurchklettern konnte.
Dann bezog er Position. Weit genug von der Wand entfernt, um nicht von den Splittern getroffen zu werden, aber ihr noch immer nah genug, um seine Ziele sicher treffen zu können. Er sammelte seine Kräfte, trat einen Schritt zurück, drehte sich zur Seite, Hände in die Höhe gerichtet. Beide Hände sollten gleichzeitig ihre Geschosse abfeuern: da und … dort.
Er schrie, und die Geschosse brachen aus ihm heraus, trafen die Wand in einer blauen Explosion, als Teile des Luxins abprallten und zu Licht wurden. Staub erfüllte den Tunnel und ließ Dazen, der sich plötzlich ganz leer fühlte, erstickt würgen. Er taumelte zur grünen Zelle und zog flüssiges Leben in sich hinein.
Als er die Brocken blauen Brotes zu seinen Füßen betrachtete, durchzuckte ihn flüchtig der Gedanke, dass er vielleicht auch etwas blauen Faden wandeln sollte, zumindest ein bisschen – dann aß er das Brot. Dort, wo er hinging, würde es jede Menge weiteres Blau geben. Er brauchte die Kraft.
Ein winziger Teil von ihm protestierte, aber der Protest war kurz und schwach.
Er zwängte sich durch das dunkle Loch in den dunklen Tunnel. Er wandelte unvollkommenes Grün in seine Hand. Grün taugte denkbar schlecht für Fackeln, und selbst in seinem gegenwärtigen Zustand sah er sich vor, nicht sein gesamtes Luxin aufzubrauchen, nur um das Licht etwas heller zu machen.
Der Tunnel war schlicht und funktional, einfach als Zugang roh in den Untergrund gehauen und kaum breit genug für einen Menschen. Sicherlich nicht breit genug für einen Menschen mit einer Fackel, wenn er nicht riskieren wollte, sich selbst in Brand zu setzen.
Gavin hatte natürlich immer eine Luxin-Fackel genommen, der Bastard.
Sobald er sich im Tunnel befand, zögerte der Gefangene. In die eine Richtung mochte der Weg sanft aufsteigen, und in die andere schien er leicht abzufallen, aber er konnte sich dessen nicht sicher sein. Instinktiv wollte er die aufwärtsführende Richtung nehmen, aber wenn er
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