Die Blendende Klinge
fortgeschritten sind, können Schüler, die reich sind oder die entsprechenden Gönner haben, Sklaven mitbringen, die ihre Arbeiten für sie erledigen. Oder sie engagieren Dienstboten oder arme Schüler.«
So wie dich, begriff Kip. Aber nicht wie ich, nicht mehr. Ein Guile fiel definitiv in die Kategorie der Reichen.
»Du kannst damit rechnen, dass bald so ein paar Gönner auch für dich auftauchen, Kip. Du solltest sicherstellen, dass du dich nicht zu billig verkaufst. Sie werden so tun, als seien sie Freunde, aber letztendlich interessierst du sie gar nicht. Sie sind nur so was wie Talentsucher, die dann die Differenz zwischen dem, was der Gönner zu zahlen bereit ist, und dem, worauf sich der Wandler einlässt, selbst einstreichen.«
Sie verließen den Turm des Prismas und traten hinaus ins Licht der Sonne. Kip sagte: »Aber ich werde mir ja wohl keine Sorgen um einen Gönner machen müssen, oder? Ich meine, ich habe gedacht, mein Vater würde für alles bezahlen.«
Sie blieb wie angewurzelt stehen. »Wovon redest du da?«
Kip legte die Stirn in Falten und hob verwirrt die Hände. »Ich habe dir doch schon erzählt, dass ich ein Guile bin. Ich meine, ein Bastard, aber mein Vater hat mich anerkannt.«
Ihr klappte der Unterkiefer herunter. »Du willst doch nicht etwa behaupten, dass du es noch gar nicht weißt? Ich habe geglaubt, das sei der Grund, warum du dich heute zu den Ausgestoßenen gesetzt hast.«
»Was redest du da?«, fragte Kip. Seine Kehle fühlte sich plötzlich an wie zugeschnürt.
»Andross Guile hat dir die Anerkennung verweigert. Und er ist der Rote. Sein Wort ist Gesetz. Deshalb wirst du nicht mehr von der Schwarzen Garde bewacht. Deshalb musst du mit uns Übrigen zusammenarbeiten. Und deshalb ist Magistra Kadah so mit dir umgesprungen. Du bist jetzt wie alle anderen auch, Kip. Nur dass du mehr Talent hast. Und viel mehr Feinde. Du bist kein Guile mehr, Kip.«
Unerklärlicherweise lachte Kip. Es war die beste Neuigkeit, die er seit Wochen gehört hatte.
26
Für eine vergeistigte Mystikerin war das Dritte Auge ziemlich schön, fand Gavin. Ihr hellbraunes Haar hing ihr in Filzlocken vom Kopf, die am Scheitel von einer Krone aus Sandelholz, deren dornige Spitzen mit Goldlack lackiert waren, nach hinten gedrückt wurden. Sollte das womöglich eine künstlerisch stark stilisierte Sonne darstellen? Ihre hellbraune Haut passte zu ihrem Haar; sie musste wohl ein wenig Ruthgari-Blut in den Adern haben. Sie trug ein knielanges weißes Kleid, das durch goldene Stricke gehalten wurde, die auf raffinierte Weise so um ihren Körper gewunden waren, dass sie sich über den Kraftzentren des Körpers kreuzten, wie sie aus der heidnischen Mystik überliefert waren. Die losen unteren Enden baumelten vom letzten Knoten an ihren Lenden herab, der nächste befand sich über ihrem Bauch, der dritte zwischen ihren Brüsten, das obere Strickende hing ihr als Schlaufe um die Schultern. Zwei Streifen goldener Schminke liefen jeweils über ihre Wangen, um sich an den Lippen zu kreuzen und dort ebenfalls einen Knoten anzudeuten, und einige letzte Striche skizzierten einen weiteren Knoten an ihrem dritten Auge in der Mitte der Stirn. Sie trug an jeder Hand einen Armreif, der mit Ringen an jedem ihrer Finger zu einer Art fingerlosem Handschuh verbunden war – Gold, das auch dort Knoten andeutete. Ihre Sandalen, die jetzt, als sie den Strand entlangging, im Sand versanken, waren zweifellos genauso gestaltet.
Sieben Knoten oder neun, je nach Zählweise. Ein heidnisches Rätsel.
Vielleicht Ketzerei, aber vor allem erinnerte es Gavin in diesem Augenblick daran, dass er schon viel zu lange keinen Sex mehr gehabt hatte. Die Knoten mochten religiöser Symbolismus sein, aber in der Praxis hatten sie zur Folge, dass sie das Kleid eng um eine gutaussehende Frau spannten. Er warf einen kurzen Blick auf ihre Brüste, dann schaute er ihr wieder ins Gesicht. Verdammtes Weib, sie kämpfte mit unlauteren Mitteln.
Ihre Stirn glänzte in der aufgehenden Sonne so sehr, dass Gavin geglaubt hatte, sie hätte dort noch mehr goldene Farbe aufgetragen, aber als sie nun mit ihrer bunt gemischten Leibwache aus zehn Männern vor ihn trat, sah Gavin, dass das Dritte Auge die kunstvollste und erstaunlichste Tätowierung auf der Stirn trug, die er je gesehen hatte.
Dieses eintätowierte dritte Auge war nicht nur vorzüglich gezeichnet, es leuchtete auch. Die Frau hatte gelbes Luxin in die Tätowierung eingearbeitet: Es ließ das Auge goldenes
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