Die blonde Geisha
Windhauch streifte mein Gesicht wie ein Kuss.
Ein Kuss. Das Vorspiel der Geisha. Einer Maiko verboten. Über solche Dinge durfte ich nicht nachdenken, über solche Freuden, doch dieser gut aussehende Gaijin hatte meine Fantasie geweckt, ich verlangte danach, seine Lippen auf meinen zu spüren, seine Hände auf meinem nackten Körper, seine Finger, seinen Mund, seinen hochgeschätzten Jadestab.
Ich hätte ihn nicht ansehen dürfen, sondern unterwürfig den Kopf senken müssen, doch als unserer Blicke sich trafen überwältigte mich der Wunsch danach, einen Mann in mir zu spüren, ihn in mein Blumenherz eindringen zu lassen und mir Erlösung zu schenken.
Meine Brust schmerzte, weil ich so schwer atmete. Derartige Gedanken musste ich einfach unterdrücken. Hier befand ich mich an einem heiligen Ort, überall um mich herum waren Pilger, sie standen, saßen, ruhten sich aus, beteten, warfen Münzen auf die Tücher, auf denen die Priester saßen. Aber der Gaijin war fort, verschwunden in den Bambuswäldern oder den immergrünen Sträuchern, die den Tempel umschlossen.
Schmollend kickte ich einen Stein weg. Meine Gebete waren nicht erhört worden.
Bong. Bong.
Ich war so in Gedanken versunken, dass der Klang des Gongs mich erschreckte. Die Götter wurden ungeduldig mit mir. Prüften mich, indem sie mir diesen Gaijin geschickt hatten. Quälten mich mit der Begierde nach einem Mann, die ganz tief in meinem Bauch ihren Ursprung hatte und mich feucht zwischen den Beinen werden ließ. Süß und klebrig quoll die Nässe aus mir und erregte mich noch mehr. Und der Gaijin? fragte ich die Götter. War er hart geworden bei meinem Anblick?
Fühlte er dasselbe gierige Verlangen?
Langsam wanderte ich den Hügel hinunter zum Wasserfall von Otowa, verneigte mich, schlug die Hände zusammen und betete zum Gott Fudô-Myô-ô.
Fehlen mir womöglich die erotischen Fähigkeiten und die sexuelle Anziehungskraft, die es braucht, um eine Geisha zu werden? fragte ich den Gott ungeduldig. Bitte hilf mir, an dem mir vorbestimmten Weg festzuhalten.
Mein ganzes Leben lang hatte ich mich danach verzehrt, die Anmut und Schönheit einer Geisha zu besitzen. Ich brannte darauf, mein lang unterdrücktes Bedürfnis ohne Angst vor den Zurechtweisungen von Okâsan oder Mariko auszuleben. Doch viel Zeit blieb mir nicht mehr. Meinen sechzehnten Geburtstag hatte ich bereits schon zwei Jahre hinter mir, und eine Maiko wird in diesem Alter berufen.
Was hatte ich nur getan, um die Götter so zu verärgern? Gut, ich hatte oft allein in einer Ecke des Teehauses sitzen, kalten Reis und eingelegte Auberginen mit etwas Sojasoße essen müssen. Und das, weil ich es gewagt hatte, mir die Bilder mit den schönen Frauen anzusehen, die mit eingerollten Zehen ihr Geschlecht entblößten und einem gut aussehenden Edelmann erlaubten, mit seinem langen Schwert in sie einzudringen. Die Ekstase auf den Gesichtern der Frauen war für mich ein mächtiges Aphrodisiakum, viel wirkungsvoller als der Kräutertrunk aus der rotgelben Jiô-Pflanze.
Die Macht meiner Fantasien.
Ich hatte den Eindruck, dass meine Jugend so schnell verbrennen würde wie die Kerzen in einer der roten Papierlaternen. Würde aus mir eine unglückliche, mittellose alte Prostituierte werden? Diese Frauen waren bekannt dafür, dass sie ihren Haaransatz mit schwarzer Farbe nachzogen, dickes, dunkles Karminrot auf die Lippen schmierten und ihren Körper bis zu den Brustwarzen einpuderten und jede Falte hinter einem dicken, weißen Belag versteckten. Ich schüttelte mich. Die Hitze in meinem Bauch löste sich auf. Aber noch mehr Angst hatte ich davor, allein zu sein, ohne einen Mann, den ich lieben konnte.
Ungeduldig mit mir selbst tippelte ich wieder den Berg hinauf, ich musste mein Herz öffnen und um Führung bitten.
Mit gesenktem Kopf betrat ich den großen Tempel von Kiomidzu, ohne die Schuhe auszuziehen, weil es hier keine sauberen Matten gab. Wie die meisten anderen Pilger kniete ich mich vor den langen Altar der göttlichen Kwannon, andere setzten sich auf die Holzbänke. Ich kam gern hierher. Zu meinen glücklichsten Kindheitserinnerungen gehörten die Tempelbesuche mit meinem Vater. Dann mit Mariko. Der Tempel von Kiomidzu war das Herz Kiotos und in gewisser Hinsicht meine Heimat. Meine Probleme und Ängste wurden kleiner, wenn das Hämmern der silbernen Gongs meine Ohren füllte und der stechende Geruch von Räucherstäbchen in meine Nase drang. Dann fühlte ich mich so lebendig wie nirgendwo
Weitere Kostenlose Bücher