Die blonde Geisha
sonst. Im Tempel von Kiomidzu fühle ich mich sicher.
Schließlich fand ich den kleinen Schrein von Kamnsube-no-Kami, der Schutzgöttin der Liebenden. Heilige Papierstreifen waren an dem Gitter befestigt. Der Tradition folgend kaufte ich einem Priester ein gedrucktes Gebet ab, rollte es fest zusammen, flehte die Göttin an, mir einen Liebhaber zu schicken, der nicht nur meine körperlichen sondern vor allem meine seelischen Sehnsüchte erfüllen konnte. Dann befestigte ich mit dem Daumen und dem kleinen Finger der rechten Hand das Gebetröllchen am Gitter, sehr sorgfältig, denn wenn ein anderer Finger benutzt wurde oder auch nur mit einer winzigen Bewegung das Papier berührte, dann war der Zauber gebrochen, die Göttin taub gegenüber meiner Bitte. Ich schaffte es ohne einen Fehler, deswegen war ich überrascht, als ich eine mahnende Frauenstimme hinter mir hörte.
“Die beiden Männer in den braunen Kimonos werden langsam ungeduldig, so lange wie du an diesem Schrein herumtrödelst.”
Ihre Stimme klang heiser und atemlos, als ob sie in diesem Moment das Vergnügen von Harigata zwischen ihren Beinen spürte, das sie heiß und feucht werden ließ.
“Wovon sprechen Sie?” Ich drehte mich nicht um, konnte aus dem Augenwinkel aber sehen, dass die Frau einen kardinalroten Hosenrock unter dem transparenten weißen Kimono trug.
Nun wandte ich mich doch um, betrachtete die eckigen Ärmel und die roten und weißen Stofffalten, die um ihren Hals drapiert waren. Ich konnte sehen, dass der hintere Teil ihres Kimonos wie eine Schleppe anmutig auf dem Boden lag. Offenbar war sie eine Hohe Priesterin des Tempels.
“Ich schätze, du weißt nicht, wer die Männer sind?”
“Nein”, entgegnete ich kopfschüttelnd. Es musste sich um die beiden Männer handeln, die mir schon früher aufgefallen waren. Ich konnte ihnen nicht entkommen. Musste ich mich vor ihnen fürchten?
“Dann werde ich es dir verraten.” Die Priesterin streckte ihre Hand mit den Handflächen nach oben aus.
Ich nahm zwei Kupfermünzen aus meiner Seidentasche. “Bitte, wer sind die beiden?”
“Ich habe sie schon früher im Tempel von Kiomidzu gesehen.” Mir entging nicht, dass sie aufseufzte. “In Begleitung ihres gut aussehenden Meisters.”
“Ihr Meister?” fragte ich überrascht. Also handelte es sich doch nicht um Diener der Okâsan.
“Ja, sie sind Vertraute von Baron Tonda-sama.” Ihr breites Lächeln ließ die weiße Farbe auf ihrem Gesicht bröseln.
Ich musterte sie noch etwas genauer. Ihre Augenbrauen waren abrasiert und von zwei schwarzen gemalten Linien hoch auf der Stirn ersetzt worden. Ihre Lippen waren so rot, dass sie zu glühen schienen. Das Haar war von goldenen Schleifen zusammengehalten, von weichem, weißem Papier umwickelt und fiel ihr über den Rücken. Silberne und goldene Haarnadeln und rote Kamelien waren auf ihrem Kopf drapiert wie eine Krone.
Aber es waren vor allem ihre dunklen, nach oben blickenden Augen, lüstern blitzende Augen, die mich so faszinierten. Sie schlug eine Glöckchenrassel gegen ihre schön geformten Schenkel.
“Baron Tonda-sama?” Dieser Name sagte mir nichts.
“Ja, der Baron ist ein sehr edler und reicher Herr mit einflussreichen Freunden. Ein Mann, mit dessen Gier nach dem Genuss weiblichen Fleisches es kein anderer Mann in Kioto aufnehmen kann …” Bevor ich es verhindern konnte, hatte sie mir schon die Kapuze vom Kopf gezogen. “Insofern bin ich nicht überrascht zu sehen, wie schön du bist.”
Ich zog die Kapuze wieder hoch. “Mir schmeicheln Ihre Worte, ehrenwerte Priesterin, aber ich bin nur eine Dienerin.”
“Du lügst, meine Schöne. Deine Stimme, dein Benehmen, dein Kimono – das alles spricht eine andere Sprache.” Sie hielt inne, dann fügte sie hinzu: “Ich muss dich warnen, Baron Tonda-sama hat einen sexuellen Hunger, der nicht leicht zu stillen ist.”
Ich war fasziniert, aber trotz allem sehr vorsichtig. “Wie meinen Sie das?”
Die Priesterin tanzte in einem Kreis um mich herum, wedelte mit dem Fächer und schüttelte die Rassel. “Hast du schon einmal die blassen, geruchslosen Blätter der Kirschblüte gesehen?”
“Ein jeder verliert sich in der Schönheit der rosafarbenen Blüten im Frühling.”
“Ihre Schönheit ist flüchtig, ihre Blätter fallen schnell zu Boden. Eine einzige blassrosa Kirschblüte allein ist leicht zu vergessen.”
“Was hat das mit dem Baron zu tun?”
“Ah, aber Reihe um Reihe von Kirschblüten am Flussufer, entlang dem
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