Die blonde Witwe
Blick. »Ich will auch nichts wissen, gar nichts, verstehen Sie? Ich will, daß man mich in Ruhe läßt. Er hat ein Testament gemacht. Andrea ist seine Universalerbin, nicht ich. Gehen Sie jetzt — bitte.«
Ich zog mir einen Sessel heran und setzte mich ihr gegenüber.
»Sie wissen etwas, gnädige Frau, und Sie haben Angst. Vor mir brauchen Sie keine Angst zu haben. Da ist noch eine Figur im Spiel, ein sehr großer, eleganter Mann. Er sieht aus wie ein ehemaliger Kolonialoffizier. Er muß mit Ihnen und Ihrem Mann befreundet sein. Wer ist dieser Mann?«
Sie stand auf und versuchte, sich zu beherrschen.
»Gehen Sie bitte. Ich weiß nicht, was sich Andrea bei ihrem Anruf gedacht hat. Sie hat sich geweigert, heute mit zur Beerdigung zu kommen. Wir waren bis zum Tode meines Mannes die besten Freunde. Ich weiß nicht, was in sie gefahren ist. Es war ihr Wunsch, wieder ins Internat zurückzufahren.«
»Seit wann treibt sich dieser Holzinger hier herum?«
Sie wand sich; es fiel ihr schwer, mir zu antworten.
»Er ist — mein Mann hat ihn noch engagiert. Ich kenne ihn nicht.«
»Und trotzdem schicken Sie ihn mit Ihrer Stieftochter weg?«
»Wir haben im Augenblick keinen anderen Fahrer.«
»Hat Ihr Mann das so eingerichtet?«
»Ich... Bitte, lassen Sie mich jetzt in Ruhe. Ich habe nichts mehr zu sagen.«
Ich stand auf.
»Gut, wie Sie wollen. Ich werde heute abend erwartet. Um zehn Uhr in dem alten Bootshaus. Man will mich mit Geld über die Grenze abschieben. Möglich, daß Sie das alles wissen, möglich auch, Sie wissen nichts davon. Es kann auch sein, daß man versuchen wird, mich dort umzubringen. Vielleicht wird Sie das veranlassen zu sprechen. Ich werde...«
Ihre Hände waren verkrampft, die Knöchel traten weiß hervor.
»Ich weiß nichts!« rief sie verzweifelt. »So begreifen Sie doch endlich, ich weiß wirklich nichts! Ich verstehe nicht, was hier geschehen ist, und ich verstehe nicht, was hier noch geschehen wird! Gehen Sie jetzt!«
Ich wandte mich zur Tür, drehte mich aber noch einmal um.
»Ich werde im Bootshaus sein, gnädige Frau. Pünktlich. Und ich werde aufpassen. Sagen Sie das demjenigen, der sich dafür interessiert.«
Ich ging in mein Zimmer, holte Hesekiel, und dann machte ich mich auf den Weg, am Ufer entlang, nach Starnberg.
Etwa um achtzehn Uhr war ich auf der Strandpromenade in Starnberg. Ich setzte mich auf eine der Bänke, schaute dem Treiben zu und fand, daß es einen schöneren Anblick gab, als diesen hier. Wo in aller Welt verbaut man sich die Aussicht auf einen so schönen See mit alten, verkommenen Bootshütten, eine neben der anderen, so daß man vom See fast nichts mehr sieht?
Ich ging ein wenig auf und ab, vor allem um Hesekiel die Möglichkeit zu geben, sich einen passenden Baum auszusuchen.
»Der Herr ein Motorboot?« fragte ein alter Mann, der vor seinem hölzernen Schuppen saß.
»Der Herr ein Segelboot?« fragte ein junges Mädchen, das vor einem hölzernen Schuppen saß.
»Der Herr ein Tretomobil?« fragte eine alte Frau, die vor ihrem hölzernen Schuppen saß.
»Der Herr ein Elektroboot?« fragte eine junge Frau. Sie saß nicht vor einem hölzernen Schuppen, sondern lag in einem Liegestuhl davor. Die Gebräuche unserer südlichen Nachbarn hatten sich offenbar bis hierher ausgebreitet.
Ich wanderte am Bahnhof vorbei, immer am See entlang, und wartete eigentlich nur darauf, daß es allmählich zehn Uhr abends werden würde.
Ich wanderte bis zur Bootswerft hinunter und wieder zurück. Was wollte ich eigentlich? Wollte ich wirklich das Geld und den Paß annehmen?
Nein, das wollte ich nicht. Was aber dann?
Mich umbringen lassen?
Nein, das wollte ich natürlich auch nicht. Ich hoffte ganz einfach auf einen Zufall. Auf einen Zufall, der heute abend eintreten und der ganzen Sache eine andere Wendung geben würde.
Und während ich so dahinwanderte, war mir, als hätte ich dieses Gesicht schon ein paarmal gesehen: Es gehörte zu einem kleinen Männchen, das munter hinter mir dreinstapfte. Von der Seepromenade an bis hierher. Wenn ich stehen blieb, blieb dieses Fuchsgesicht auch stehen, und wenn ich weiterging, folgte es mir.
Ein weiterer Freund von Holzinger und Co.?
Ich blieb wieder stehen, interessierte mich für die mannshohen, roten Blütensträucher neben den Bahngleisen und schielte nach hinten. Der kleine Mann interessierte sich ebenfalls für Botanik.
Ich machte jäh kehrt und war bei ihm, ehe er Luft holen konnte.
»Servus«, sagte ich friedlich.
Weitere Kostenlose Bücher