Die Blueten der Freiheit
ich wagte nicht, mich zu bewegen. Hätte ich bloß meine Nase verschließen können. Wenn Legrands Fell bloß nicht so nach Tod gerochen hätte.
Mein Herr kam von hinten auf mich zu.
Selbst in meinem Traum schloss ich die Augen, denn ich wollte nicht sehen, was ich fühlen konnte.
Er hob zuerst eines meiner Hinterbeine hoch und dann das zweite. Dann steckte er sie durch Legrands Fell und zog es über meinen Rücken. Ich hatte gesehen, dass der gute Herr auf diese Art in seine Kleider schlüpfte. Dann zog er Legrand bis zu meinem Nacken hoch.
Ich zuckte zusammen, als ich ihn spürte. Als ich seinen Geruch wahrnahm.
Er kam nach vorne, hob mein Vorderbein hoch und steckte es durch die Öffnung, wo Legrands Vorderbein gewesen war. Danach tat er dasselbe mit dem anderen Bein.
Ich war in Legrand gefangen. Er umhüllte meinen ganzen Körper. Sein Gewicht, das Gefühl, das er hinterließ, ließen mich erzittern. Die Erinnerung an ihn ließ mich winseln.
»Hallo, Legrand. Es ist lange her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben! Hey, hör auf zu winseln, Chiant. Er war so ein guter Bruder, der nur für dich so groß geworden ist. So ein guter Bruder, dass er dir seinen Mantel leiht.« Er legte seine Hände um meinen eingewickelten Körper, hob mich hoch und setzte mich auf den Boden.
Ich wachte mit einem Bellen auf. Und dann saß ich dort in der dunklen Kiste und zitterte.
Kapitel 12
Lisette Lefort
Château Souboscq
Provinz Gascogne, Frankreich
D er Graf von Montreau stürmte eines Nachmittags Anfang Oktober in unseren Innenhof. Der Staub, den seine Kutsche aufwirbelte, ließ sich auf den Nebengebäuden und im Innenhof nieder.
Obwohl er immer noch von herausragender Schönheit war, schien er abgenommen zu haben. Er strahlte eine wilde und ungezähmte Anmut aus, die mich an den Fuchs erinnerte, der in dem Wald hauste, der entlang unseres Anwesens verlief. Jeder seiner Schritte wirkte vornehm und bedrohlich zugleich. Und seine Kleidung trug bloß noch dazu bei, diesen Eindruck zu verstärken. Obwohl sie von dem sich herabsenkenden Staub bedeckt wurden, leuchteten die Farben geradezu. Ich wusste aus leidvoller Erfahrung, dass seine Kleider aus den edelsten Stoffen hergestellt wurden. Mein eigenes Kleid hätte im Vergleich dazu selbst vor drei Jahren, als es noch neu gewesen war, beschämend ausgesehen.
Nachdem der Graf im Château verschwunden war, kam Alexandre auf den Schuppen zu, als hätte er gewusst, wo ich mich versteckte. In seinen Augen spiegelte sich die Dunkelheit wider, als er auf der Schwelle stehen blieb. Zwischen uns drang ein Lichtstrahl durch die Steinmauern hindurch und zerschnitt das Dunkel. In seinem Licht tanzten Staubkörner durch die modrige Luft und glänzten dabei wie Goldstaub.
Ich zog mich verzweifelt weiter in den Schatten zurück.
»Ich weiß, dass du hier bist, Lisette.«
Er schien stets zu wissen, wo er mich finden konnte.
»Wenn du vorhast, dich in der Finsternis zu verstecken, solltest du kein so helles Kleid anziehen.«
Ich warf einen Blick auf mein abgetragenes und ausgebleichtes Brokatkleid, das selbst in dieser beinahe vollkommenen Dunkelheit zu leuchten schien. »Das ist das einzige Kleid, das ich noch habe.« Zumindest war es das einzige, bei dem ich nicht die Schultern einziehen, das Korsett eng verschnüren und meine Brüste zusammenpressen musste, um es überhaupt tragen zu können. Es war schwierig, nach außen hin weiter als die Tochter eines Vicomte aufzutreten, wenn das Vermögen des Vicomte so drastisch reduziert worden war.
Doch schlimmer noch: In meinem tiefsten Herzen sehnte ich mich nach all den Dingen, die wir aufgrund meiner Taten niemals wiederhaben würden. Nach all den Dingen, die wir besessen hatten, als Maman noch am Leben gewesen war. Ich sehnte mich nach der Seide und den Edelsteinen und dem Luxus, den ich von Geburt an gewohnt gewesen war. Nach all den Reichtümern, die wir hatten verkaufen müssen, um unsere Schulden zu begleichen. War das nicht sinnlos und eitel? Vielleicht quälte ich mich deshalb so sehr: Weil ich stets wusste, was ich hätte sein können. Oder was ich hätte haben können.
Auf diese Art tat ich ständig Buße.
Deshalb ging ich so oft am Ende des Tages spazieren. Die Hügel und der Nebel verschafften mir Schönheit im Überfluss. Obwohl ich mich oft fragte, was meine Mutter wohl nun von mir gehalten hätte.
Ich versuchte, wie sie zu sein. Ich versuchte, gut zu sein. Ich versuchte, nicht mehr zu verlangen, als ich unbedingt
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