Die Blueten der Freiheit
hinüber zum Schrank. Er kam mit einer Flasche zurück, die er sich an die Lippen setzte.
Ich war noch immer durstig. Ich fuhr mir mit der Zunge über die Nase. Ich wünschte, er würde mich aus der Flasche trinken lassen.
»Vielleicht sollte ich dir auch etwas von dem Zeug hier abgeben, Chiant. Vielleicht läufst du dann schneller durch den Wald?« Er lachte. » Non. Das Zeug ist zu gut für dich.« Er nahm einen weiteren Schluck, dann stellte er die Flasche ab. Als er dieses Mal das Rasiermesser zur Hand nahm, klappte es besser.
»Hier, Chiant.« Er warf ein Laken über meinen Körper. Ich rollte mich darunter zusammen, um mich vor dem zu verstecken, von dem ich wusste, dass es jetzt passieren würde.
Er verwendete das Laken, um mich abzutrocknen und mich von einer Seite zur anderen zu drehen. Nachdem er es entfernt hatte, löste er das Seil, das meine Beine zusammengehalten hatte, und setzte mich auf den Tisch. Dann legte er ein Stück Stoff auf meinen Rücken.
»Seide. Wie gefällt dir das? Nichts als das Beste für den Besten. Dafür werden wir bezahlt.«
Ich mochte diesen Teil des Traums. Der Stoff fühlte sich weich auf der Haut an und hielt mich warm.
»So. Was hältst du davon?« Er hielt ein langes Stück weißes Netz in die Höhe. Ich konnte das Feuer durch das Netz hindurchscheinen sehen.
Ich hielt vollkommen still, während er es mir um den Körper wickelte. Bloß einen Muskel zu bewegen würde bedeuten … Ich winselte bei dem Gedanken daran, was er mir antun würde, während mein Traum begann, sich in einen Alptraum zu verwandeln.
»Denk nicht einmal daran, Chiant!«
Er wickelte das Netz immer und immer wieder um meinen Körper. Danach legte er ein weiteres Stück Stoff darüber. Der nächste Schritt war der schlimmste überhaupt. Ich kauerte mich zusammen, als ich sah, wie er das Fell aufhob.
»Komm schon, Chiant. Möchtest du denn deinen Bruder nicht wiedersehen?«
Ich wollte vor ihm zurückweichen, doch ich schaffte es nicht. Ich konnte nicht.
Das erste Mal, als er mir das angetan hatte, hatte ich mich mit dem Netz um meinen Körper auf den Tisch gekauert und es aus lauter Verzweiflung angepinkelt.
Er hatte mir sämtliche Krallen einer meiner Hinterpfoten gezogen. Bloß der Gedanke an das Feuer und den Schoß, auf dem ich schlafen würde, hatte mich an diesem Abend durch den Wald in Richtung meines guten Herrn getrieben.
Ich hörte, wie ich winselte, doch obwohl ich versuchte, aus dem Traum aufzuwachen, schaffte ich es nicht.
Dieser Teil war der schlimmste. Er erinnerte mich an die Zeit, als mein Bruder und ich vor dem Feuer im Haus des guten Herrn miteinander rangelten. An eine Zeit, als wir ineinander verschlungen schliefen, als sein Kopf auf meinem Bauch ruhte. Sie nannten ihn Legrand. Er war größer als ich. Doch wenn wir spielten, landete er am Ende stets irgendwie unter mir.
Er ließ mich immer gewinnen … bis zu diesem einen Tag.
Bis zu diesem einen Tag, als der böse Herr kam und ihn mit in den Schuppen des guten Herrn nahm.
Ich folgte ihnen, denn ich wusste damals noch nicht, in welche Richtung sich mein Leben entwickeln würde. Ich hatte noch keine Ahnung von Rohrstöcken oder Kisten, von Hunger oder Durst. Schlaf war meiner Meinung nach zum Träumen da, und das Leben war ein einziges Spiel. Ich folgte ihnen, um zu sehen, welches neue Spiel wir spielen würden.
Aber ich kam zu spät.
Als ich im Schuppen ankam, hatte der böse Herr bereits ein Messer in Legrands Hals gerammt. Sein Blut war bereits aus ihm heraus zu Boden gelaufen, und seine Zunge hing regungslos aus seiner Schnauze.
Der Geruch – der Geruch des Todes – füllte meine Nase und lähmte meine Beine. Ich konnte nicht atmen. Ich konnte mich nicht bewegen. Ich konnte nichts tun, außer zuzusehen.
Ich sah zu, wie der böse Herr einen Haken durch Legrands Bein trieb und ihn an der Decke befestigte. Ich sah zu, wie er Legrands Blut in einen Eimer abließ. Ich sah zu, wie der böse Herr ein Messer nahm und Legrand die Haut vom Körper zog. Ich hörte, wie die Haut vom Fleisch gerissen wurde und das Messer über die Knochen schrammte. Und ich sah zu, wie er meinem Bruder schließlich mit einer einzigen Bewegung den felligen Rücken in einem Stück abzog.
Dann drehte er sich um und kam auf mich zu, genau wie er es auch jetzt tat. »Chiant, von nun an bist du Legrand.« Er hatte diese Worte an jenem Tag zu mir gesagt, und er wiederholte sie nun in meinem Traum.
Ich kauerte mich vor Angst zusammen, aber
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