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Die Blütenfrau

Die Blütenfrau

Titel: Die Blütenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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sollten wir gerade mit der Lateinarbeit anfangen, und Herr Nettahn hat sich gewundert, weil Alli nicht da war. Die ist bei allen total beliebt und Daddys Schatz, soweit ich weiß. Und eigentlich ist sie auch ganz okay. Jedenfalls klopfte es an der Tür, und zwei Polizisten kamen rein. Sie fragten, ob einer von uns wüsste, wo Alli steckt, die wäre heute Nacht nicht nach Hause gekommen.»
    Esthers Herz beschleunigte sich. Ein Mädchen war verschwunden. Gernot war unterwegs. WIR KRIEGEN DICH DU MÖRDER! Sie sagte keinen Ton.
    «Na ja, ich hatte gleich das Gefühl, die glotzen alle in meine Richtung. Es war ekelhaft. Alle waren total durch den Wind und haben nur noch von Alli gesprochen. Und Pamela Rohloff, Allis beste Freundin, ist gleich mit den Polizisten raus. Herr Nettahn hat die Arbeit abgeblasen. Und dann, nach der zweiten großen Pause, da   …»
    Griet schluckte, wieder stiegen ihr Tränen in die Augen. Esther konnte sich denken, was dies zu bedeuten hatte. Am liebsten hätte sie sich die Ohren zugehalten. Sie wollte es nicht hören.
    «…   also nach der zweiten großen Pause, da ging das Gerücht rum, Alli ist tot. Ermordet.»
    Griet schluchzte auf. Wann hatte Esther ihre Tochter das letzte Mal so weinen sehen? Sie wäre gern hinaufgegangen und hätte die Arme um diese schmalen, zuckenden Schulterngelegt. Doch sie wollte keine Abwehr riskieren. Griet hatte die Treppe in ihrer vollen Länge genutzt, um ganz klar auf Distanz zu gehen. Eine von ihnen saß oben, eine saß unten, nur dann wurde gesprochen. Das musste sie respektieren, bei aller Liebe. «Und dann haben dich wieder alle so angestarrt?»
    «Eben nicht», stieß Griet fast wütend hervor. «Kein Arsch hat sich um mich geschert. Und weißt du was? Das war das Allerschlimmste, dass keiner mehr geguckt hat. Da war mir klar, alle denken, Gernot hat’s getan.»

4.
    Elm
(Ulme)
    Botanischer Name: ULMUS PROCERA
    Die Blüte gegen das vorübergehende Gefühl, seiner Aufgabe oder Verantwortung nicht gewachsen zu sein.
     
    «Krüppelwalmdach.»
    «Was?» Wencke verstand ihren Kollegen nicht, obwohl Meint Britzke derjenige in der Abteilung war, mit dem sie die meiste Zeit verbrachte. Sie gaben ein gutes Team ab und ergänzten sich wunderbar, denn er füllte akribisch die Akten, während sie ihrer inneren Stimme folgte – und nie einen brauchbaren Kugelschreiber dabei hatte.
    «Dieses Haus hier ist ein typisches Krüppelwalmdachhaus. Du erkennst es an dem nur halb abgeschrägten Giebel. Sehr beliebt zurzeit bei den Bauherren.» Britzke war gerade dabei, ein neues Einfamilienhaus zu planen, da seine Frau das dritte Kind erwartete. Doch Wencke Tydmers interessierte sich im Moment nicht die Bohne für Britzkes architektonische Klugfiedelei. Das Haus, in dem Allegra Sendhorst mit ihrem Vater wohnte – gewohnt hatte – war ein typischer roter Backsteinneubau in einer typischen Familiensiedlung mit niedlichen Windmühlen in den Vorgärten und bemalten Garagentoren. In der Auffahrt stand ein schnittiger Mercedes mit Oldenburger Kennzeichen. Neben der Eingangstür hing ein getöpfertes Schild, auf dem ein Knet-Mann und ein Knet-Mädchen Hand in Hand in die Gegend lächelten. Daneben waren Namen in den Ton geritzt worden:
Peter und Allegra Sendhorst
. Darunter wiederum
Das Dreamteam
.Wencke schluckte. Sie wünschte, dieses Schild übersehen zu haben, es machte den Besuch noch schwerer für sie. Wenn Peter Sendhorst ihr nun direkt ins Gesicht sagen würde, dass sie durch ihre Trägheit gestern Abend das
Dreamteam
auseinandergerissen hatte? Und zwar unwiederbringlich?
    Britzke drückte auf die Klingel.
    Eine schlanke Frau öffnete die Tür. Sie trug einen Arztkittel, ihre brünetten Haare sahen aus, als seien sie vor einer halben Ewigkeit mal zu einer Hochsteckfrisur zusammengefasst und dann einfach vergessen worden. In der Hand hatte sie eine bis zum Filter gerauchte Zigarette, die sie jetzt achtlos in einen Kugelbusch neben dem Eingang warf. «Kripo?», fragte sie knapp.
    «Wir kommen aus Aurich. Mein Name ist Wencke Tydmers, ich werde die Ermittlungen in diesem Fall leiten.» Wencke streckte die Hand aus, doch die Frau mit den geschwollenen Augen reagierte nicht, also nutzte Wencke die begonnene Geste, um auf Britzke zu zeigen und auch seinen Namen zu nennen. Die Frau lehnte im Türrahmen und schwieg.
    «Wir hätten ein paar Fragen, Frau   … äh   …»
    «Ute Sendhorst. Geschiedene Sendhorst. Ich bin die Mutter.» Die Worte kamen fast tonlos über die

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