Die Blütenfrau
Holztier wippte gefährlich weit hin und her. «Pass auf, nicht zu wild», mahnte Esther.
Doch Wencke Tydmers lachte. «Ist schon gut, Emil hat doch Spaß.»
«Wann geht denn Ihr Flieger nach Amerika?»
«Nächste Woche.»
«Und was sagt Ihr Sohn zu dieser Veränderung?»
Sie rief ihrem Sohn zu: «Hey, Cowboy! What about America?»
«Great!», antwortete der Knirps.
«Sie lernen so schnell, unsere Kinder …» Schneller als wir, fügte Esther in Gedanken dazu. Obwohl sie wusste, sie waren auf einem guten Weg. Gernot und sie. Vieles hatte sich verändert. Und vor ein paar Tagen hatte er abends den Arm um sie gelegt. Ganz behutsam, nicht fordernd, und mehr war auch nicht passiert. Aber er hatte es nun jeden Abend wiederholt. Und es war wunderschön.
«Wissen Sie etwas über Frau Spangemann?»
«Nicht viel. Nur, dass sie wohl blind bleiben wird und auch sonst auf Hilfe angewiesen ist.»
«Und Ihr Kollege? Dieser Rockwater-Typ?»
«Es ist … Ich habe mich auch seinetwegen entschieden, das Angebot in Amerika anzunehmen.»
Esther wusste, warum. Auch wenn sie der Kommissarin, deren Eigensinn ihrem Mann das Leben gerettet hatte, bis heute nur einmal begegnet war, hatte sie das Gefühl, diese Wencke Tydmers zu kennen. Ein Larch-Typ eben. Diese Menschen wollen sich keinem Konkurrenzkampf stellen, suchen lieber das Weite und verzichten auf die Erfüllung ihrer Wünsche und Träume. Und wenn die Konkurrenz in Form einer hilfsbedürftigen Frau daherkam … Es war schade um Wencke Tydmers. Aber es war wohl ihr Weg.
«Na ja, ich will dann mal … Emil, kommst du?» Nur ungern folgte der Junge. Fast ein wenig verlegen drehte sich die Kommissarin noch einmal um. «Ich glaube, er hätte lieber noch ein bisschen mit Ihnen gespielt, Herr Vanmeer.»
Mehr sagte sie nicht. Aber sicher wusste sie, wie gut dieser letzte Satz den Menschen in diesem Haus tat. Esther wünschte ihr alles Glück der Welt.
«Wie geht es dir?», fragte Gernot, als sie wieder allein in der Küche waren. Das hatte er noch nie gefragt. Esther musste überlegen. Eine ganze Weile lang.
Natürlich hatte sie gelitten, weil ihr die Entwicklung der eigenen Tochter so aus den Händen geglitten war. Nichts hatte sie bemerkt von den Selbstverletzungen, von der verhängnisvollen Beziehung zu Hanno Thedinga, sie hatte sämtliche Hilfeschreie überhört. Und sie schämte sich dafür. Doch inzwischen war sie gnädiger zu sich selbst. Die ganze Familiensituation war ungesund gewesen, ein bisschen verlogen und schöngeredet. Es ließ sich eben nicht alles mit inneren Energieströmen erklären und heilen. Manchmal war das Leben auch einfach nur beschissen.
«Es geht mir gut, Gernot. Und zu deiner vorherigen Frage:Nein, es müssen nicht immer Bachblüten sein. Ich glaube, rote Rosen haben auch eine spezielle Wirkung.»
Esther füllte die Glaskanne mit Wasser, dann stellte sie die langstieligen Rosen hinein. Drei Blumen. Für jeden eine.
Nachwort und Dank
Pädophilie ist ein Thema, von dem ich eigentlich nie gedacht hätte, dass ich es je in einem meiner Romane verwenden würde. Ich möchte in meinen Büchern keinen Voyeurismus, keine Sensationsgier, deshalb wollte ich mit dieser Materie eigentlich nichts zu tun haben.
Erst das Projekt «Kein Täter werden» . ( www.kein-taeter-werden.de ) der Berliner Charité hat mir gezeigt, dass die Medien (auch die Kriminalromane) im Grunde zu einseitig berichten: Es stehen nur die Fälle in den Schlagzeilen, bei denen ein Übergriff stattgefunden hat. Doch den straffällig gewordenen Pädophilen steht auch eine ganze Reihe Betroffener gegenüber, die ihrer Veranlagung nicht nachgehen, die sich Tag für Tag mit ihrer sexuellen Präferenz- und Verhaltensstörung auseinandersetzen und Hilfe in Anspruch nehmen, um nicht übergriffig zu werden. Präventionsarbeit sollte demnach auch bei potenziellen Tätern geleistet werden. Und dies geht nur, wenn man pädophil veranlagte Männer und Frauen nicht automatisch mit Sexualstraftätern gleichsetzt.
In diesem Buch gibt es keine Darstellung von Missbrauch und keine ausgiebige Opferperspektive, und dies aus gutem Grund: Es geht um den Umgang der Öffentlichkeit mit einem tabuisierten Thema. Und nicht um das Delikt an sich.
Um nicht missverstanden zu werden: Ich spreche mich ganz klar gegen jegliche sexuelle Unterdrückung aus. Eine intime Beziehung muss von zwei gleichberechtigten Partnern freiwillig eingegangen werden. Alles andere ist ein unentschuldbares
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