Die Blume von Surinam
und seinen Antrag als Flucht vor einer Zukunft in einem Kloster gesehen. Ihr Onkel Wilhelm, der als ihr Vormund nur ihr großzügiges Erbe im Blick gehabt hatte, hätte alles dafür getan, das Geld zu bekommen. Dass dann Karl, an seiner statt, das Erbe erhielt und allein zu seinen Gunsten einsetzte, schmerzte sie heute kaum noch. Jean wusste, als ehemaliger Buchhalter der Plantage, dass Karl einen Teil des Geldes in den Niederlanden investiert hatte. Allerdings hatten sie nie genau herausgefunden, um welche Beträge es sich genau gehandelt hatte. Julie erstickte sämtliche Nachforschungen über dessen Investitionen im Keim, sie hatte das Kapitel abgeschlossen und wollte zudem nie wieder mit ihrem Onkel konfrontiert werden. Denn auch wenn Julie etwas Geld verloren hatte, so hatte sie auch etwas gewonnen: ein Zuhause, die Plantage Rozenburg. Und gerade weil ein Großteil ihres Erbes über Karl damals in diese Plantage geflossen war, war es in Julies Augen mehr als rechtens, für sich und ihren Sohn Anspruch auf die Plantage zu erheben.
Dass Karl sie nie geliebt und sich nach ihrer Ankunft in Surinam als grausamer Tyrann erwiesen hatte, das lag inzwischen in weiter Ferne. Julie hatte diese Jahre überstanden und hinter sich gelassen. Weder damals noch heute hatte sie für sich eine Zukunft in Europa gesehen, und so war sie ihrer neuen Heimat treu geblieben. Hier hatte sie viele Menschen kennengelernt, die ihr lieb und teuer waren, hier lag ihre Zukunft.
Fina trippelte plötzlich unruhig hin und her.
»Ist ja gut, ist ja gut.« Julie klopfte der Stute beruhigend den Hals und stieg wieder auf.
Kaum war der Zauber der morgendlichen Stunde verflogen, begann in diesem Land mit einem Schlag das wirkliche Leben. Sobald sich die Sonne über das Kronendach der Bäume geschoben hatte, gingen Myriaden von Stechmücken auf die Jagd – ein Pferd samt Reiterin war für sie ein willkommener Schmaus.
Julie wendete die Stute und ließ sie antraben, um dem Angriff der Mücken zu entkommen.
Als Julie ihr Pferd wieder auf den Hauptweg zwischen den Zuckerrohrfeldern gelenkt hatte, sah sie in der Ferne bereits den Tross der Feldarbeiter nahen. Vorweg ritt Jean, der die Arbeiter, wie jeden Morgen, zu den zu bestellenden Feldern führte.
Fina gab ein leises Wiehern von sich, das sogleich laut von Jeans Pferd beantwortet wurde. Julie sah, dass Jean seinen Hut zog und winkte. Sie ließ Fina in einen leichten Galopp fallen und ritt ihrem Mann entgegen.
Julie begleitete Jean ein Stück in Richtung der Felder.
»Du musst mit Sarina reden, Julie. Es hat gestern Abend schon wieder eine Auseinandersetzung im Dorf gegeben.«
»Zwischen den Indern und den Schwarzen?« Julie runzelte die Stirn.
»Nein, diesmal haben die Inder unter sich gestritten. Einer der Männer wurde sogar verletzt.« Jean wirkte ungehalten, und Julie wusste, dass ihm die bevorstehende Ernte im Kopf herumgingund Unruhe unter den Arbeitern das Letzte war, was er jetzt gebrauchen konnte.
Julie beunruhigte diese Information ebenfalls. Sie gaben sich viel Mühe, die Kultur der Inder zu verstehen und ihr gerecht zu werden, aber es war kompliziert. »Ich werde mit ihr reden und sie fragen, was vorgefallen ist. Mach dir keine Sorgen.« Sie bemühte sich um einen beruhigenden Tonfall. »Bist du bis Mittag zurück, oder bleibst du den ganzen Tag auf den Feldern?«, fügte sie noch hinzu, während sie ihre Stute wendete, um zurück in Richtung Plantage zu reiten.
»Es wird wohl Abend werden. Du weißt, in wenigen Tagen können wir das Zuckerrohr wieder pressen.«
»Dann bis heute Abend.« Julie wusste nur zu gut, was er meinte. Die Zuckermühle auf der Plantage Rozenburg wurde mit Wasserkraft betrieben. Karl hatte das Zuckerrohr früher alle vier Wochen pressen lassen, aber Jean nutzte inzwischen jede Springflut, die hoch genug ausfiel, um die Mühle anzutreiben. Die Springfluten traten etwa vierzehntägig bei Voll- und Neumond ein. Dann war die Tide vom Meer so hoch, dass das Wasser in den Surinam und bis weit in das Landesinnere in die Kreeke gedrückt wurde und die Wasserräder die Mahlsteine auf den Plantagen in Bewegung setzen konnten. Zusätzlich ließ Jean seit einigen Jahren Ochsen an das Mahlwerk spannen, um mit voller Kraft das Zuckerrohr auspressen zu können. Da nie sicher war, wie stark eine Springflut ausfiel, musste in kurzer Zeit möglichst viel Zuckerrohr geerntet und verarbeitet werden. Die Arbeiter schlugen die Pflanzen auf den Feldern mit langen Macheten
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