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Die Blume von Surinam

Die Blume von Surinam

Titel: Die Blume von Surinam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Belago
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ab, luden sie auf Ochsen- und Maultierkarren und lenkten diese so schnell wie möglich zur Mühle. Dort wurde das Zuckerrohr zwischen die Mahlsteine gelegt und der Saft herausgepresst. Anschließend wurde dieser in einem weiteren Gebäude in großen Zubern zu zähflüssiger Melasse eingekocht und in Fässer abgefüllt, die mehrmals im Monat auf Booten nach Paramaribo transportiert und aneine Rumdestillerie oder auf Schiffe nach Übersee geliefert wurden.
    Ein Zuckerrohrfeld konnte im besten Falle bis zu fünf Jahre jeweils einmal im Jahr abgeerntet werden. Die Stumpen der Pflanzen trieben wenige Wochen nach der Ernte neu aus, um dann nach zwölf Monaten wieder erntereif zu sein. Ein Teil der Felder diente dem Stecklingsanbau. Trieben die Pflanzen nach einigen Jahren nicht mehr aus, so mussten pro Feld viele Tausend neue Zuckerrohrpflanzen gesetzt werden. Neben der Hege der Pflanzungen, der Ernte, der Zucht von Stecklingen und der Neupflanzung oblag den Arbeitern auch die Instandhaltung der Be- und Entwässerungskanäle sowie der Brücken und Wege durch und entlang der Felder. Arbeit gab es also mehr als genug, das ganze Jahr über.
    Die Tage vor dem Pressen waren immer besonders arbeitsintensiv, und meist sah Julie Jean dann nur kurz zum Abendessen oder erst, wenn es zu Bett ging. Sie wusste, dass auch ihn dies schmerzte, verbrachte er doch so viel Zeit wie möglich mit ihr und den Jungen. Er war ein liebevoller Ehemann und Ziehvater, und neben seiner Familie waren Rozenburg und die dazugehörigen Arbeitskräfte sein ganzer Lebensinhalt.
    Julie winkte ihrem Mann noch einmal zum Gruß. Dann ließ sie Fina, die jetzt in Richtung Stall drängte, in einen leichten Trab fallen. Die Stute schnaubte zufrieden. Trotz der Nachricht, dass es wieder Ärger im Arbeiterdorf gab, war Julie guter Dinge. In wenigen Tagen würden die Jungen zurück auf die Plantage kommen. Wie jedes Jahr für sie um diese Jahreszeit ein Grund zu großer Freude.

Kapitel 2
    I nika saß im Schneidersitz auf dem Boden der kleinen Hütte ihrer Eltern und versuchte, den Saum eines Tuches umzunähen. Dabei stach sie sich in den Finger, schrie auf und warf den Stoff samt Nähzeug wütend von sich. Wieso verlangte ihre Mutter nur diese unsäglichen Näharbeiten von ihr? Sie hatte deren Talent in dieser Sache nun wirklich nicht geerbt. Inika konnte die Tränen nicht zurückhalten, die über ihre Wange rannen, aber weniger wegen des Nadelstichs als wegen der Erkenntnis, die sich in den letzten Wochen mehr und mehr in ihrem Kopf eingeschlichen hatte: Sie hatte ihre Eltern wiedergefunden und doch einiges verloren.
    Als sie im März ihre Mutter auf der Plantage entdeckt hatte, war sie außer sich vor Freude gewesen. Sie war, so schnell sie konnte, aus dem Gästehaus und über den Hof gelaufen und hatte immer wieder laut »Mama« gerufen. Misi Juliette und Masra Jean hatten ihr verblüfft nachgesehen, und ihre Mutter Sarina, die schon fast das Dorf erreicht hatte, hatte sich ruckartig umgedreht und war ihr mit ausgebreiteten Armen entgegengerannt. Es hatte viele Tränen der Freude gegeben, und zur Feier des Tages hatte Masra Jean den Dorfbewohnern sogar das Essen für ein Fest spendiert. Ihr Vater hatte sein Glück kaum fassen können und seine verloren geglaubte Tochter immer und immer wieder auf dem Arm durch das Dorf getragen und den Göttern gedankt.
    Misi Erika war es dann aber sichtlich schwergefallen, sie auf der Plantage zurückzulassen. »Sie ist doch jetzt wieder bei ihren Eltern«, hatte Misi Juliette Misi Erika beruhigt.
    Aber jetzt, nach einigen Monaten auf der Plantage, wünschte sich Inika manchmal, dass sie mit Misi Erika in die Stadt zurückgegangen wäre. Das Leben auf der Plantage war nicht zu vergleichen mit dem in der Stadt, obwohl sie hier bei ihren Eltern war. Selbst in Indien, befand Inika, war es ihnen besser ergangen als hier.
    Die kleine Hütte, in der ihre Eltern hausten, war nichts gegen das Kinderhaus in Paramaribo und schon gar nichts gegen das Gästehaus der Plantage mit seinen weißen, weichen Betten. Letzteres durfte sie sich jetzt nur noch von außen ansehen.
    Es war eng in der Hütte, es gab gerade einmal genug Platz, dass Inika und ihre Eltern sich dicht beieinander hinlegen konnten. Während die Schwarzen in Hängematten schliefen, zogen die Inder den Boden vor. Also mussten sie auch mit dem Ungeziefer zurechtkommen, das bei Nacht durch die Ritzen der Hütten kam und die auf dem Boden Schlafenden belagerte. Hier gab es keine

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