Die Blume von Surinam
Ermangelung eigener Vorräte aber hatten alle Frauen der Gemeinschaft ihre Kostäcker geplündert und der Familie bei der Verköstigung geholfen. Immer wieder sah Inika aus den Augenwinkeln sogar, dass sich einige der schwarzen Dorfbewohner zu den Indern gesellten.Angezogen von dem üppigen Mahl verfolgten sie das Hochzeitsgeschehen neugierig.
Am frühen Nachmittag kam es schließlich zur Eheschließung. Inika war speiübel, und ihre Beine drohten, den Dienst zu versagen. Dem Kanyadan-Ritual folgend, übergab Inikas Vater seine Tochter an den Ehemann: Inika ließ teilnahmslos geschehen, dass ihr Vater ihre Hände nahm und sie dann zusammen mit Baramadirs Händen über einem Krug zusammenlegte. Sie hörte wie aus weiter Ferne, dass ihr Vater Ganesha anrief und auch mehrmals Kama, den Gott der Liebe. Inika beobachtete, wie er ihre und Baramadirs Hände über dem Krug mit einem roten Tuch und einer prachtvollen Blütengirlande aus wilden Orchideen umwickelte. Sie nahm wahr, wie er das Brautpaar mit Flusswasser segnete, und hätte fast gelacht. Sie wusste, wie sehr sich ihr Vater grämte, dafür nicht das heilige Wasser des Ganges verwenden zu können, er hatte sich mehr als einmal lautstark darüber aufgeregt. Sie vermutete, dass es das dunkle Wasser des Surinam war, das ihre Ehe nun besiegelte. Als Kadir dann an Baramadir ein kleines Säckchen übergab, traute Inika ihren Augen kaum. Es war das Säckchen mit dem Schmuck ihrer Mutter, das sie damals in höchster Eile aus dem Schiffsbauch geholt hatte. Der wertvolle Schmuck war also gar nicht die Absicherung ihrer Eltern für ein besseres Leben gewesen! Es war die bereits zusammengesparte Brautmitgift, die Kadir jetzt an ihren zukünftigen Ehemann übergab, der das Säckchen lächelnd in seiner Hand abwog. Ihr wurde schlagartig bewusst, dass ihre Verheiratung von Beginn an geplant gewesen war.
Inika folgte der Prozedur weiter wie in Trance, das alles schien gar nicht sie zu betreffen. Wieder folgten gesprochene Mantras, bis die Frauen an das Ehepaar herantraten und als Zeichen ihrer nun unlösbaren Verbindung Inikas Sari mit Baramadirs Schultertuch verknoteten. Dies führte nicht nur im Geiste zu einer engen Verbindung, auch physisch fühlte sich Inika nun unlösbarmit diesem Mann verbunden, den sie weder liebte noch ehrte geschweige denn begehrte.
Als Baramadir ihr schließlich zum Zeichen seiner Verehrung die Blütenketten um den Hals legte, war Inika einer Ohnmacht nahe. Sie fühlte sich wie in einem schlechten Traum. Ihr war schwindelig von den Mantras und vom langen Sitzen am heißen Feuer. Aber selbst der jetzt niedergehende Regenschauer konnte das letzte Ritual nicht verhindern, das die Ehe endgültig besiegeln würde: das saptapadi – die sieben Schritte.
Als Inika schwankend aufstand, mehr von ihrem Mann gezogen als aus freiem Willen, widerstand sie dem Impuls, sich in das Feuer fallen zu lassen. Sie wusste, dass ihre Eltern von ihr erwarteten, diese Bürde nun zu tragen.
Also schritt Inika schweigend an der Hand von Baramadir siebenmal um das Feuer. Als sie schließlich stehenblieben, trat eine Frau an Baramadirs Seite und reichte ihm einen kleinen Topf mit roter Farbe. Und während er Inika mit dem Segenszeichen einer verheirateten Frau versah, ihr den Scheitel rot färbte und ihr einen bindi , einen roten Punkt, auf die Stirn zwischen die Augen tupfte, flüsterte Inika, wie es ihr befohlen war: »Du bist mir willkommen.« Sie spürte heiße Tränen der Angst und Verzweiflung über ihre Wangen rinnen.
Kapitel 12
H ochzeit?« Julie hatte sich gewundert, dass Jean so früh von den Feldern zurückgekehrt war. Auf ihre besorgte Nachfrage hatte er ihr geantwortet, dass die indischen Arbeiter darum gebeten hatten, einen Tag freizubekommen, da im Dorf eine Hochzeit gefeiert werden sollte.
»Warum hast du mir das nicht erzählt?« Julie fühlte sich wie so oft in den letzten Wochen überflüssig. Aufgrund ihrer Schwangerschaft nahmen Liv und Sarina ihr jede Tätigkeit ab, und auch Jean behandelte sie wie eine zerbrechliche Vase. Anfangs hatte ihr das geschmeichelt, inzwischen störte es sie aber sehr. Sie konnte sich nicht an den Gedanken gewöhnen, die kommenden Monate nur herumzusitzen, Handarbeiten zu verrichten und zu lesen, wie so viele andere Frauen. Julie fühlte sich zwar häufig unwohl, wollte aber unbedingt so viel wie möglich am Plantagenleben teilhaben. Dass Jean ihr von einem solch großen Ereignis im Arbeiterdorf nicht berichtet hatte,
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