Die Blume von Surinam
Masra würden einschreiten. Aber im Plantagenhaus drehte sich alles nur um die schwangere Misi und ihre Genesung nach dem Sturz. Die jungen Masras und Karini waren wieder in der Stadt, aber vor deren Abfahrt hatte es auch für sie nur ein Thema gegeben: die Misi und ihr Baby. Inika hatte sich nicht getraut, von ihrem eigenen Leid zu berichten, zumal sie die drei nur noch selten gesehen hatte. Inika fühlte sich einsam und alleingelassen.
Sarina versuchte, ihrer Tochter den Einstieg in die Ehe so leicht wie möglich zu machen. Inika musste einige Gespräche über sich ergehen lassen, die sie eher beschämten, denn auf das vorbereiteten, was auf sie zukommen würde. Zumal sie dieses Thema bisher, so gut es ging, verdrängt hatte. Sie würde diesem Mann auch als Ehefrau beiliegen müssen. Sie hatte gar keine Vorstellung, was …
»Es ist nicht schlimm, wenn du dich nicht dagegen wehrst«, bemerkte ihre Mutter.
Das war der Moment, in dem Inika das erste Mal ans Fortlaufen dachte. Aber wohin sollte sie schon fliehen in diesem Land? In die Stadt? Vielleicht zu Misi Erika und Misi Minou? Nein, die würden sie vermutlich gleich wieder zur Plantage zurückschicken. Außer dem Fluss, dem unendlich weiten und vor allem undurchdringlichen Regenwald und wenigen, vereinzelten Plantagen, deren Besitzer sich zudem alle kannten, gab es also kein Ziel. Sie würde wahrscheinlich eher von einem gefährlichen Tier, vielleicht sogar einem Jaguar, gefressen werden, als dass es ihr gelingen würde, ein sicheres Versteck zu finden, so es denn überhaupt eines gab. Es war aussichtslos.
Die erste Hochzeit im Kreise der Arbeiter aus Indien auf der Plantage Rozenburg war ein großes Ereignis. Die Hochzeitsvorbereitungen hatten viele Tage in Anspruch genommen, und alle waren voller Vorfreude, ihre Kultur zumindest ein wenig aufleben lassen zu können. Zwar hielten die Hindu an ihren Traditionen, so gut es ging, fest, aber es war doch vieles anders als in der Heimat. Es gab keine Tempel, zu denen sie pilgern konnten, es gab keine großen Götterstatuen und auch keine Priester und Brahmanen. Alle freuten sich nun, eine Hochzeit standesgemäß ausrichten zu können.
Inika bemühte sich, den Erwartungen ihrer Eltern zu entsprechen, aber eine glückliche Braut, das war sie nicht.
»Du kennst deinen zukünftigen Mann doch, also zier dich nicht so«, hatte eine Nachbarin ihr Mut zugesprochen. Inika wusste, dass sie damit im Kern sogar recht hatte, aber sie war sich nicht sicher, ob es ein Segen oder ein Fluch war, dass sie bereits wusste, wer ihr Mann werden würde. Manchmal versuchte sie, sich vorzustellen, dass sie ihn noch gar nicht kannte, aber immer tauchte Baramadirs grobes Gesicht vor ihrem inneren Auge auf, und sie erschauderte.
Die kleine indische Gemeinde baute für Inika und ihren Bräutigam vor der Hütte von Inikas Eltern einen Baldachin und eine dazugehörige Feuerstelle auf, auch der Platz zwischen den Hütten wurde festlich geschmückt. Inika hatte gehört, dass der Masra über die Planungen, die Hochzeitsfeierlichkeiten über mehrere Tage zu strecken, nicht erfreut gewesen war, und so wurde die Feier doch auf einen einzigen Tag beschränkt.
Am frühen Morgen des Hochzeitstages kamen die Frauen, um Inika für die Zeremonie vorzubereiten. Inika erlebte die folgenden Stunden wie in Trance. Sie ließ eine rituelle Waschung über sich ergehen, dann kleideten die Frauen sie in einen festlichen Sari, besprenkelten sie mit duftendem Orangenwasser und schmückten sie mit Blüten. Widerstandslos ließ sie sich unter den Baldachin vor dem brennenden Feuer führen, wo sie sich im Schneidersitz neben ihren zukünftigen Mann setzen musste.
Inika hatte die letzten Nächte kaum geschlafen und heimlich so viele Tränen vergossen, dass sie sich jetzt unendlich kraftlos fühlte und kaum die Worte des Mannes nachsprechen konnte, der als Priester fungierte. Die zukünftigen Eheleute mussten zunächst stundenlang den rezitierten Sanskrit-Mantras lauschen und viele davon nachsprechen, so gab es das sogenannte Hochzeits-Yajna vor. Für Inika eine quälende Prozedur, sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass der Tag endlich zu Ende ging. Wie bei diesem langen Ritual üblich, lauschten nur wenige der anwesenden Inder, die meisten saßen leise redend vor den Hütten und genossen die köstlich angerichteten Speisen. Dem Ritus entsprechend hätten eigentlich Inikas Eltern das über den ganzen Tag dargebotene Festessen spendieren müssen, in
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