Die blutende Statue
Heiligenbildchen mit der Jungfrau von Entrevaux anfertigen und verschickte sie mit einem Rundschreiben, in dem er um ein Almosen bat. Und das funktionierte. Die Almosen waren zwar bescheiden, aber zahlreich, da die Statue sehr berühmt war, seitdem die Presse so viel darüber geschrieben hatte. Kühner geworden, bot er Tücher, die mit dem Wunderblut getränkt waren, zum Verkauf an, auch zu einem geringen Preis. Er verkaufte sie überall in Frankreich und sogar im Ausland. Und es geschah wieder das Gleiche. Viele kleine Einzelbeträge addierten sich zu einer beträchtlichen Summe.
Und nun beging Michel Antonini, berauscht vom Erfolg, seinen ersten Fehler. Mit dem angesammelten Geld drehte er einen Film mit dem Titel »Wunder von Entrevaux« und mietete in Paris auf eigene Kosten einen Saal mit dem Exklusiv-Vorführungsrecht. Aber Kino und Wundersames passt nicht gut zusammen. Am ersten Tag war der Saal halb voll, am zweiten fast leer und am dritten wurde das Kino nur noch von vier älteren Damen besucht, die in der Pause in ihren Gebetbüchern lasen.
Michel Antonini war ruiniert, zumal er ein Spieler war und den Rest seines Geldes im Kasino verloren hatte. Doch er gab nicht auf und griff auf die alten Methoden zurück, indem er frommen Gläubigen Reliquien anbot. Mit der Zeit besserte sich seine Lage wieder. Inzwischen schrieb man das Jahr 1961. Seit sechs Jahren betrieb er seinen speziellen Handel, der ihm nicht weniger als vierzig Millionen alte Franc eingebracht hatte — über 660 000 Euro — , und genau zu diesem Zeitpunkt setzte jemand dem Ganzen ein jähes Ende.
Dieser Jemand war kein anderer als Jean Leroi. Der hatte lang überlegt, ob er alles enthüllen sollte, denn dies würde ja bedeuten, dass er sich selbst anklagen müsste. Doch die Erfolgssträhnen von Michel Antonini, der ihn so übel übers Ohr gehauen hatte, erschienen ihm jetzt unerträglich. So gestand er den Betrug eben jener Wochenzeitung, die einst dem »Wunder von Entrevaux« einen leidenschaftlichen Artikel gewidmet hatte.
»Mein Schwindel war so aufgeblasen, dass ich mich wundere, dass er funktioniert hat. Ich hatte zuvor den Finger der Statue abgebrochen und ihn wieder oberflächlich angeklebt. Als ich die Statue dann fallen ließ, ist der Finger natürlich erneut abgebrochen. Ich habe mir in den Finger gestochen und mit meinem Blut den Finger der heiligen Anna beträufelt. So einfach war das! Alle haben es geglaubt, nur die Kirche nicht...« Im Übrigen hat die Kirche die Sache vor Gericht gebracht. Am 24. September 1962 wurde der Fall der »Jungfrau von Entrevaux« aufgrund der Anklage des Bistums vor Gericht verhandelt. Michel Antonini wurde zu drei Jahren Gefängnis ohne Bewährung verurteilt und Jean Leroi zu dreizehn Monaten.
Die Jungfrau von Entrevaux selbst oder vielmehr die Statue der heiligen Anna, die so genannt wurde, ist verschwunden und wurde nie wieder gesehen.
Es ist möglich — warum auch nicht? — , dass Sie sie eines Tages bei einer Auktion entdecken und erwerben. Wenn Sie zufällig bemerken sollten, dass sie blutet, dann folgen Sie dem Rat des alten Pfarrers von Entrevaux: »Lassen Sie sie bluten!«
Eine große Familie
Vereinigte Staaten, 1919. In den Zwanziger Jahren hatten in den Vereinigten Staaten viele Familien, die aus Deutschland, Italien oder Großbritannien, Irland oder Schottland stammten, die gleichen Namen. Es waren unbekannte oder berühmte Namen, entfernte oder fiktive Verwandte. 1919 teilte die Presse die Gründung eines Verbandes mit, der alle Personen mit dem Namen Drake vereinen wollte. Sir Francis Drake war der berühmte Korsar, der vor dreihundertfünfzig Jahren im Auftrag von Elizabeth I., der jungfräulichen Königin, über die Meere fuhr und die spanischen Galeonen kaperte, die aus Nord-, Mittel- und Südamerika zurückkehrten und mit dem Gold der Inkas und mit Smaragden aus Kolumbien beladen waren. Jeder wusste oder glaubte zu wissen, dass Francis Drake, Günstling der Königin, im August 1595 gestorben war. Da sein Testament seine verwerfliche Leidenschaft für die Königin enthüllte, griff die Königin damals ein, damit das Dokument nicht in das öffentliche Nachlassregister aufgenommen wurde, wo jeder dieses Geständnis hätte lesen können.
Ein gewisser Norman Wheelock, der in London wohnte und sich dieser Tatsache bewusst war, nahm sich vor, jeden der amerikanischen Drakes darüber zu unterrichten, dass der Nachlass von Sir Francis Drake nie den legitimen Erben
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