Die blutende Statue
erzählte. Ganz im Gegenteil, er war von dem Gedanken entzückt, ja begeistert.
»Was für eine hervorragende Idee, mein lieber Marquis! Diese Fahne, ein wundervolles Symbol! Und die Devise fasst alles zusammen, woran wir glauben.«
»Danke, mein Guter. Fehlt allerdings noch das Reich. Können Sie als Jurist mir sagen, wo ich das finde?«
»Am besten nehmen wir eine Karte. Darauf finden wir sicher eins.«
Du Gois und der zukünftige Charles I. falteten eine große Erdkarte auseinander und fingen dann an zu suchen.
So einfach war das allerdings nicht. Die meisten Länder des Erdballs besaßen den großen Nachteil, von angeblich legitimen Regierungen gelenkt zu werden. Da der Marquis nicht daran dachte, Gewalt anzuwenden, zumal er nicht die Mittel dazu besaß, mussten sie in größerer Ferne suchen, eine menschenleere Gegend, in der man trotzdem leben konnte.
Schließlich fanden die beiden Männer das Gesuchte. Man kann nicht gerade behaupten, dass dieser Ort in der Nähe lag oder besonders groß war, aber er existierte. In der Korallensee, östlich von Australien, das heißt genau auf der entgegengesetzten Seite der Erdkugel, lag eine Inselgruppe, die Bougainville im 18. Jahrhundert entdeckt hatte. Frankreich besaß also im Prinzip ein Anrecht darauf, wollte es jedoch nie ausüben.
Auf gut Glück wählte du Gois eine dieser Inseln, die Bougainville Port-Praslin genannt hatte.
»Hier, Marquis. Dort können Sie die erste absolute Monarchie unseres Jahrhunderts gründen.«
Charles-Marie Bonaventure du Breil war hingerissen. »Herrlich, mein guter du Gois, herrlich! Diese Insel taufe ich heute Port-Breton. Bald wird die ganze Welt ihre Augen auf sie richten.«
Gleich darauf fragte er jedoch wieder ratlos: »Und die Untertanen? Woher soll ich Ihrer Meinung nach Untertanen nehmen?«
»Ganz einfach: Geben Sie eine Kleinanzeige auf.« Gesagt, getan! Der Marquis inserierte in allen Pariser Zeitungen und den größten Gazetten der Provinz. Zunächst wollte er auf diese Weise Geldgeber und eventuell Freiwillige auftreiben. Der Text war mehr als verführerisch: »Freie Kolonie Port-Breton — Land für fünf Franc pro Hektar. Rascher, gesicherter Wohlstand, ohne die Heimat zu verlassen. Auskünfte erteilt Monsieur du Breil de Rays, Schloss Quimerch (Finistère).«
Die Anzeige war vielleicht allzu verführerisch, denn die Leute misstrauten ihr anfangs. Das ganze Jahr 1877 verstrich ergebnislos. Der Marquis war gezwungen, seinen Aufruf das ganze folgende Jahr über und zum Teil auch 1879 zu wiederholen. Schließlich wurde seine Ausdauer jedoch belohnt. Langsam trudelte Geld im Schloss ein und damit auch die ersten Anfragen von Leuten, die Kolonisten werden wollten.
Auf alle Nachfragen hin antwortete der Marquis, dass der Boden sehr fruchtbar sei und sich insbesondere für Baumwolle und Zuckerrohr eigne. Ehrlich gesagt hatte er nicht die geringste Ahnung, aber schließlich musste er ja etwas antworten. Jeder Antwort legte er ein Formular bei, das man nur unterschrieben zurückschicken musste. Darauf standen in blumiger Prosa auch die Rechte und Pflichten des zukünftigen Kolonisten: »Die Kolonie soll mir ein Haus stellen, entweder in einem Dorf oder am Meer, zusammen mit den von mir erworbenen Ländereien. Von dem Moment an muss ich mich mitsamt meiner Familie durch meine Arbeit und meinen Fleiß ernähren und versorgen.«
Ende 1879 hatte der zukünftige Charles I. schon ein nettes Sümmchen gesammelt, fünfhunderttausend Franc, ein kleines Vermögen.
Außerdem erhielt er verschiedene Schenkungen von Leuten, die entweder uneigennützig oder ganz einfach zu vorsichtig waren, um Geld zu schicken, die aber trotzdem ihre Bewunderung für diese schöne, edle Unternehmung unter Beweis stellen wollten. So schickte eine gute Seele eine komplette Sammlung der katholischen Zeitschrift Pèlerin , eine andere mehrere Kilo bunter Glasperlen zum Tauschhandel mit den Eingeborenen. Ein gewisser Abbé D. stiftete sechshundertfünfundvierzig Exemplare einer von ihm selbst verfassten Broschüre und die Mädchen von Villeneuve-lès-Maguelonne elf »Kostüme für Wilde«, die sie selbst genäht hatten, »unter der wohlwollenden Anleitung von Madame Garbouleau«, wie sie ausdrücklich erläuterten. Dieser Hinweis ist zwar hochinteressant, trotzdem hätten wir lieber gewusst, wie diese »Kostüme für Wilde« ausgesehen haben.
Was die zukünftigen Kolonisten — oder, um genauer zu sein, die zukünftigen Untertanen — anging, so waren
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